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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linzi Glass
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zu der vereinbarten Zeit aus einem Nebenraum in die Hauptgalerie kommen und dann … Ihre Worte wurden von schweren Stiefelschritten unterbrochen, die durch die stille Galerie stapften. Sie hielten kurz inne – und gingen weiter. Dann dröhnte die Stimme eines Mannes durch die Galerie.
    »Ist hier jemand?«
    Mutter seufzte. »Nicht jetzt, egal, wer du bist …«, sagte sie leise.
    »Ich seh nach.« Ich erhob mich von der Plüschcouch und ging in die Richtung, aus der die Männerstimme gekommen war.
    Im vordersten kleinen Galerieraum fand ich ihn. Er stand mit dem Rücken zu mir und betrachtete ein abstraktes Gemälde, das einen tropfenden Wasserhahn darstellte. Der Künstler, ein bekannter Exzentriker, der in seinen Arbeiten leblose Objekte als Geschlechtsteile darstellte, wurde inzwischen von einer breiten Anhängerschaft geschätzt, und Mutter hatte immer einige seiner Werke in ihrer Galerie hängen.
    Während ich auf den Fremden zuging, fragte er, ohne sich umzudrehen: »Ist das hier das, wofür ich es halte …?«
    Der Mann war groß, hatte breite Schultern und trug einen leichten Khakianzug.
    Von Mutter hatte ich gelernt, Besuchern nie die Bedeutung eines Bildes zu erklären. Ich sollte eher versuchen, ihnen eine eigene Interpretation zu entlocken, sodass sie selbst zu einer Beurteilung fandenund dann fasziniert waren von ihrem Verständnis des Werks. Kunst sei etwas rein Subjektives, sagte Mutter immer.
    »Wofür halten Sie es denn, Sir?«, fragte ich also höflich. Der Mann drehte sich um und sah mich an. Er hatte trübe graue Augen und kurzes schwarzes Haar, das sich scharf gegen sein blasses Gesicht abzeichnete. Außerdem eine aufwärts gebogene Nase über dünnen Lippen.
    »Du siehst ein bisschen zu jung aus, um hier zu arbeiten«, sagte er vorwurfsvoll.
    »Die Galerie gehört meiner Mutter.«
    »Und sie lässt dich solchen Dreck anschauen?« Er wedelte mit dem Zeigefinger vor dem Bild.
    »Es ist ein Wasserhahn«, sagte ich.
    »Nie im Leben! Es ist das Geschlechtsteil eines Mannes, und so was hängt offen hier herum, damit es nur ja jeder sehen kann!« Er schnaubte empört.
    Ich spürte das inzwischen bekannte Akkordeon-Ziehen im Bauch und biss fest auf meine Unterlippe. »Kann ich Ihnen mit etwas Bestimmtem helfen, Sir?«, fragte ich höflich, aber entschieden.
    »Nein, ich schau mich nur mal um.« Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, schlenderte durch die Galerie, blieb blinzelnd vor jedem Bild stehen und trat dann näher heran. Manchmal sog er scharf die Luft ein oder kratzte sich am Nacken, bevor er zum nächsten Bild weiterging. Ich folgte ihm in gebührendem Abstand und wünschte, Mutter oder Dashel würden kommen und mich aus dieser Situation befreien. Aber keiner der beiden zeigte sich. Mutter ließ mich oft mit Besuchern der Galerie verhandeln und zweimal hatte ich sogar schon allein ein Bild verkauft.
    »Sehr interessant, ja doch …«, sagte der Mann, während er mit seinen derben Stiefeln über den sauberen Fußboden schurrte und überall dunkle Spuren hinterließ. »Hier stellen viele schwarze Künstler aus, sehe ich das recht?« Er hielt vor dem Bild eines Jungen inne, der in zerlumpter Kleidung neben einem klapprigen Fahrrad stand, dahinter die Schutthäufen und Schornsteine der Township.
    »Einige«, sagte ich. »Sir, gibt es einen bestimmten Künstler, für den ich Sie interessieren kann?«
    »Alle.« Er ging langsam weiter. »Ich interessiere mich für alle. Besonders für die schwarzen.« Das Wort »schwarzen« spuckte er aus, als hätte es einen bitteren Nachgeschmack.
    Mein Magen zog sich noch fester zusammen, und mich überkam eine furchtbare Ahnung: Ich stand einem Mann von der Geheimpolizei gegenüber.
    »Irgendwelche Ausstellungen?«, fragte er. »Ist eine geplant, die ich vielleicht besuchen sollte?«
    »Nein«, sagte ich knapp.
    »Weißt du das genau? Ich habe nämlich gehört, es soll in Kürze eine stattfinden …« Er schüttelte den Kopf. »Seltsam … muss ich mich wohl getäuscht haben.«
    »Ja. So wird es sein.« Ich holte tief Luft.
    »Wie heißt du?« Er heftete seine trüben grauen Augen auf mich, und ich hatte das Gefühl, er wollte mit seinen Blicken meinen Kopf durchbohren.
    »Ruby«, sagte ich. »Ruby Winters.«
    »Nun, Ruby, bestell deiner Mutter, dass sie ein sehr kluges Mädchen hat, und wenn sie ebenso klug ist wie du, dann wird sie wohl tun, was das Beste für ihre Galerie ist.« Er bedachte mich mit einem dünnen Lächeln. »Um ihrer Tochter

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