Die Farben der Magie
bestimmtes Ziel, und außerdem fehlten ihm Proviant sowie ein Pferd. Aber solange ihm die Beine gehorchten, konnte er laufen. Farnblätter und Dornenzweige schlugen nach ihm, aber er spürte sie überhaupt nicht.
Nach etwa einer Meile blieb er stehen und lehnte sich an einen Baum, der sofort zu ihm sprach.
»Psst!« flüsterte er.
Rincewind hob langsam den Kopf, und neue Furcht prickelte in ihm, als er daran dachte, was sich seinen Augen darbieten mochte. Der Blick des Zauberers versuchte, an harmloser Borke und ungefährlichen Blättern zu verharren, doch die Geißel der Neugier trieb ihn weiter. Schließlich fiel er auf ein schwarzes Schwert, dessen Klinge den Ast über Rincewinds Kopf durchstoßen hatte.
»Steh da nicht einfach so herum«, sagte es mit einer Stimme, die so klang, als streiche jemand mit dem Finger über den Rand eines großen leeren Weinglases. »Zieh mich heraus.«
»Was?« erwiderte Rincewind. Er keuchte noch immer.
»Zieh mich heraus«, wiederholte Kring. »Sonst verbringe ich die nächsten Jahrmillionen in einem Kohleflöz. Habe ich dir davon erzählt, daß man mich einmal in einen See geworfen hat…?«
»Was ist mit den anderen passiert?« fragte Rincewind und hielt sich verzweifelt an dem Baum fest.
»Oh, die Drachen haben sie erwischt. Ebenso die Pferde. Und die Truhe. Es wäre auch um mich geschehen gewesen, aber Hrun hat mich fallen lassen. Welch ein Glück für dich.«
»Nun…«, begann Rincewind. Kring überhörte den Einwand. »Bestimmt brennst du darauf, deine Kameraden zu retten«, fügte das Schwert hinzu.
»Ja, äh…«
»Zieh mich raus. Dann können wir uns sofort auf den Weg machen.« Rincewind betrachtete das Schwert. Der Gedanke an ein Rettungsunternehmen hatte sich in einem so fernen Winkel seines Bewußtseins versteckt, daß er – wenn man gewissen Theorien in bezug auf Natur und Gestalt der hyperdimensionalen Multiplexität des Universums Glauben schenken durfte – vor alle anderen rückte. Außerdem: Ein magisches Schwert war alles andere als wertlos…
Und der Heimweg – in welche Richtung auch immer – konnte recht lang werden.
Rincewind kletterte hinauf und kroch über den Ast. Kring steckte tief im Holz. Der Zauberer griff nach dem Knauf und zog, bis ihm Sterne vor den Augen funkelten.
»Versuch's noch einmal!« feuerte ihn Kring an.
Rincewind stöhnte und biß die Zähne zusammen.
»Es könnte schlimmer sein«, fügte das Schwert hinzu. »Wenn ich in einem Amboß säße, zum Beispiel.«
»Jaargh«, schnaufte der Zauberer und fürchtete um die Zukunft seiner Leisten.
»Weißt du, meine Existenz verdient die Bezeichnung multidimensional«, verkündete Kring.
»Hach?«
»Ich hatte viele Namen.«
»Erstaunlich«, kommentierte Rincewind. Er ruckte nach hinten, als sich das Schwert plötzlich aus dem Holz löste. Es fühlte sich sonderbar leicht an.
Wieder auf dem Boden, beschloß er, seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
»Ich glaube nicht, daß wir sofort mit einer Rettungsmission beginnen sollten«, sagte er. »Äh, es wäre besser, eine Stadt aufzusuchen. Um dort eine Suchgruppe zusammenzustellen.«
»Die Drachen flogen mittwärts«, entgegnete Kring. »Trotzdem schlage ich vor, daß wir mit dem Exemplar dort drüben anfangen.«
»Tut mir leid, aber…«
»Du kannst die Verschleppten nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.«
Rincewind wölbte überrascht die Brauen. »Wirklich nicht?«
»Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Ich will ganz offen sein. Ich habe schon mit besseren Leuten zusammengearbeitet, aber die Alternative wäre… Hast du jemals mehrere Jahrmillionen in einem Kohleflöz verbracht?«
»Hör mal, ich…«
»Keine Widerrede. Oder ich schlage dir den Kopf ab.«
Rincewind sah, wie sich sein Arm hob, bis nur noch ein Zentimeter die glitzernde Klinge von der Kehle trennte. Er versuchte, die Finger zu strecken und den Knauf loszulassen, aber sie traten in den Streik. »Ich weiß doch gar nicht, wie man ein Held ist!« entfuhr es ihm. »Ich bin bereit, es dir zu zeigen.«
P sepha mit den bronzenen Schuppen knurrte dumpf.
Der Drachenreiter K!sdra beugte sich vor und blickte über die Lichtung.
»Ich sehe ihn«, sagte er, schwang sich von Ast zu Ast, landete leichtfüßig im Gras und zog sein Schwert.
Er beobachtete den näher kommenden Mann, der den Schutz der Bäume offenbar nur widerstrebend verließ. Er war bewaffnet, aber der Drachenreiter bemerkte mit gewissem Interesse, wie er das Schwert hielt – weit von sich
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