Die Farben der Magie
gierende Schwalbe durch einen Nebentunnel raste. Kurz darauf neigte er sich erneut zur Seite, flog durch einen breiten Zugang und erreichte eine gewaltige Höhle. Felsen erstreckten sich tief unten, und oben fiel Licht aus runden Löchern. An der Decke herrschte rege Betriebsamkeit. Während Neunrute seine gegenwärtige Stellung hielt, die Schwingen ruhig hob und senkte, beobachtete Zweiblum große Tiere, die weit oben an Ringen hingen. Winzige Menschen wanderten verkehrt herum zwischen ihnen.
Dies ist eine Ruhehalle, sagte der Drache zufrieden.
Zweiblum sah, wie sich eins der Tiere von seinem Ring löste, näher kam und dabei anschwoll…
L io!rts blasses Gesicht fiel fort, und ein sonderbarer Gedanke fuhr Rincewind durch den Sinn: Warum steige ich auf?
Dann drehte er sich in der Luft, und die Realität offenbarte sich ihm in ihrer ganzen Gnadenlosigkeit. Er stürzte den mit Drachenkot überzogenen fernen Felsen entgegen.
Entsetzen erfaßte ihn, und der Zauberspruch nahm sofort die gute Gelegenheit wahr, um seinen Schlupfwinkel in einer stillen Ecke des Gedächtnisses zu verlassen. Sprich mich jetzt aus, flüsterte er. Was hast du schon zu verlieren?
Rincewind hob die Hand, und der heftiger werdende Wind riß sie ihm fast fort.
»Ashonai!« rief er. Eine Flamme aus kaltem blauen Feuer entstand und flackerte unheilvoll.
Der Zauberer winkte auch mit der anderen Hand, gab Grauen und Magie nach.
»Ebiris«, intonierte er. Die drei Silben manifestierten sich in Form von orangefarbener Glut.
»Urshoring. Kvanti. Pythan. N'gurad. Feringomalee.« Als ein schimmernder Regenbogen entstand, vollführte Rincewind eine beschwörende Geste und bereitete sich darauf vor, jenes letzte Wort zu sprechen, das den Farben schillerndes Oktarin hinzufügen und den Zauber besiegeln würde. Er vergaß die schon beträchtlich näher gekommenen Felsen.
»…«, begann er.
Irgend etwas preßte ihm die Luft aus den Lungen, und die thaumaturgische Struktur des Zauberspruchs zerriß. Zwei Arme schlangen sich ihm um den Leib, und die ganze Welt rückte beiseite, als der Drache den Sturzflug beendete und wieder aufstieg – seine Klauen kratzten kurz über den stinkenden Boden des Wyrmbergs. Zweiblum lachte erfreut.
»Wir haben ihn!«
Neunrute erreichte den Scheitelpunkt seiner eleganten Flugbahn, neigte die Schwingen und glitt durch eine breite Öffnung in die frische Morgenluft hinaus.
G egen Mittag warteten die Drachen und ihre Reiter in einem weiten Kreis auf dem Plateau des kopfstehenden Wyrmbergs. Hinter ihnen gab es noch genug Platz für Diener, Sklaven und einige andere Leute, die auf dem Dach der Welt lebten. Sie alle beobachteten die Gestalten im Zentrum der Grasarena.
Die Gruppe setzte sich aus einigen hochrangigen Drachenlords zusammen, unter ihnen auch Lio!rt und sein Bruder Liartes. Rincewinds Duellgegner rieb sich noch immer die Beine und schnitt gelegentlich eine schmerzerfüllte Grimasse. Etwas weiter auf der einen Seite standen Liessa, Hrun und einige Personen aus dem Gefolge der jungen Frau. Zwischen diesen beiden Fraktionen hatte der derzeitige Verwalter des Wissens Aufstellung bezogen.
»Wie ihr alle wißt«, begann er unsicher, »hat der nicht ganz verstorbene Herr des Wyrmbergs, Greicha der Erste, folgendes festgelegt: Es gibt nur dann einen Thronfolger, wenn sich eins seiner Kinder mächtig genug fühlt, seine Geschwister zum Kampf herauszufordern. Der – oder die – überlebende wird unser neuer Herrscher.«
»Ja, ja, wir wissen alle Bescheid«, erklang eine ungeduldige Stimme aus der Luft. »Wann geht's endlich los?«
Der Verwalter des Wissens schluckte. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, daß sich sein früherer Herr weigerte, richtig zu sterben. Hat der alte Mistkerl nun das Zeitliche gesegnet oder nicht? dachte er.
»Allerdings müssen wir uns hier die Frage stellen«, fuhr er nervös fort, »ob es zulässig ist, daß die Herausforderung von einem Stellvertreter…«
»Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen«, zischte Greichas körperlose Stimme. »So etwas beweist Intelligenz. Laß dir nicht den ganzen Tag Zeit!«
»Ich fordere euch beide heraus«, sagte Hrun und starrte die Brüder an. Lio!rt und Liartes wechselten einen Blick.
»Du willst gegen uns beide kämpfen – gleichzeitig?« fragte Liartes, ein großer drahtiger Mann mit langem schwarzen Haar.
»Ja.«
»Dadurch sind die Chancen nicht besonders ausgeglichen, oder?«
»Nein, ich bin euch eins zu zwei überlegen.«
Lio!rt schnitt
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