Die Farben der Zeit
gehalten habe.«
»Sie gestatten doch, Tante Malvinia?« Verity faltete ihre Serviette zusammen. »Ich muß weiter an meinen Handschuhschachteln arbeiten.«
»Natürlich«, sagte Mrs. Mering abwesend. »Wie lange lebt Ihre Familie schon in Kent, Mr. St. Trewes?«
Als Verity an mir vorbeiging, ließ sie einen kleinen Zettel auf meinen Schoß fallen.
»Seit 1066«, erwiderte Terence. »Natürlich haben wir das Haus seitdem restauriert. Der größte Teil ist georgianisch. Roter Sandstein. Sie müssen uns unbedingt einmal besuchen.«
Ich faltete den Zettel unterm Tisch auseinander und las ihn unauffällig. »Kommen Sie in die Bibliothek.«
»Liebend gern«, sagte Mrs. Mering. »Nicht wahr, Tocelyn?«
»Oui, Mama.«
Ich nutzte die Gesprächspause. »Sie erlauben, Mrs. Mering?« Gerade wollte ich mich erheben.
»Keinesfalls, Mr. Henry«, sagte sie. »Sie haben ja überhaupt noch nichts gegessen! Sie müssen unbedingt etwas von Mrs. Poseys Aalpastete probieren. Sie ist unübertroffen.«
Wie wahr! Ebenso wie das Kedgeree, das sie von Baine mit einem großen schaufelartigen Gerät auf meinen Teller schippen ließ. Zweifelsohne ein Kedgereelöffel.
Nach etwas Aal und so wenig Kedgeree wie möglich gelang es mir, zu entkommen und nach Verity zu suchen, obwohl ich keine Ahnung hatte, wo sich die Bibliothek befand. Ich brauchte dringend einen Plan des Hauses, wie die Detektive in Veritys Kriminalromanen.
Nachdem ich mehrere Türen probiert hatte, fand ich sie schließlich in einem Raum mit Bücherregalen vom Fußboden bis zur Decke.
»Was taten Sie so lange?« fragte Verity. Sie saß an einem Tisch, vor sich einen Haufen Muscheln und ein paar Leimtöpfe.
»Unaussprechliche, widerliche Dinge essen«, sagte ich. »Und Fragen über Amerika beantworten. Warum, um alles in der Welt, erzählten Sie, ich sei in Amerika gewesen? Ich weiß überhaupt nichts über die Staaten.«
»Die Merings auch nicht«, erwiderte Verity ungerührt. »Ich mußte eingreifen. Sie waren nicht genügend vorbereitet, und wahrscheinlich wären Sie in jeden möglichen Fettnapf getreten. Hier halten sie alle Amerikaner für Barbaren. Wenn Sie also die falsche Gabel benutzen, werden sie es Ihrem Aufenthalt in den Staaten zugute halten.«
»Da muß ich Ihnen wohl noch dankbar sein«, sagte ich.
»Setzen Sie sich. Wir müssen jetzt über unser weiteres Vorgehen sprechen.«
Ich schaute zur Tür, in deren Schloß ein altertümlicher Schlüssel steckte. »Soll ich abschließen?«
»Das ist nicht nötig«, sagte Verity und wählte eine flache rosafarbene Muschel aus. »Der einzige, der jemals hier hereinkommt, ist Baine. Mrs. Mering hat etwas gegen Bücher.«
»Und wo kommt das alles her?« Ich zeigte auf die beeindruckenden Reihen braun und scharlachrot eingebundener Bücher.
»Gekauft.« Verity strich Leim auf die Muschel.
»Gekauft?«
»Die ganze Bibliothek. Von Lord Dunsany. Für ihn arbeitete Baine, bevor er zu den Chattisbournes kam. Die Chattisbournes sind diejenigen, denen Mrs. Mering Baine abluchste, obwohl ich eigentlich glaube, daß Baine sich selbst entschied, hierherzukommen. Wegen der Bücher.« Sie klebte die Muschel auf die Schachtel. »Setzen Sie sich. Falls jemand hereinkommt, denkt er, Sie helfen mir hierbei.« Sie hielt eine fertige Schachtel hoch, auf die Muscheln verschiedenster Größe geleimt waren, die ein herzförmiges Muster ergaben.
»Absolut scheußlich«, sagte ich.
»Das ganze victorianische Zeitalter zeichnet sich durch immensen Mangel an gutem Geschmack aus. Seien Sie froh, daß es keine Haarkränze sind.«
»Haarkränze?«
»Blumen, die aus dem Haar von Verstorbenen gemacht sind. Die Perlmuttern an die Kanten«, sagte sie und zeigte es mir. »Dann eine Reihe Kaurimuscheln.« Sie schob mir einen Leimtopf hin. »Baine hat mir gesagt, warum Mrs. Mering plötzlich so liebenswürdig zu Terence ist. Sie hat im DeBrett seinen Namen nachgeschlagen. Er ist reich und Neffe eines Peers.«
»Reich?« fragte ich. »Er konnte doch nicht einmal das Boot bezahlen.«
»Die Adligen sind immer verschuldet«, sagte Verity und suchte eine Venusmuschel. »Er hat fünftausend im Jahr, ein Anwesen in Kent und ist von der Erbfolge her der zweite Anwärter auf die Peerswürde. Also ist es…« – sie legte die Venusmuschel wieder beiseite – »unsere Hauptaufgabe, Terence und Tossie voneinander fernzuhalten. Tossie sammelt heute morgen Sachen für den Basar ein, und Sie werden mit ihr gehen. Dann sind beide für mindestens einen
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