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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Rosen in der Capperschen Kapelle in einer Silberschale.
    »Wo steht sie normalerweise?«
    »Im Herbst 1940 vor der Chorschranke der Smithschen Kapelle«, erwiderte ich. »Im Sommer 1888 was weiß ich wo. Sie kann überall sein.« Auch unter einer der grünen Planen oder irgendwo hinter den Holzbarrikaden.
    »Vielleicht sollten wir den Kurator fragen, wenn er zurückkommt«, meinte Verity besorgt.
    »Das können wir nicht.«
    »Wieso?«
    »Erstens handelt es sich hier nicht um etwas, das in einem Baedeker aufgeführt ist. Der durchschnittliche Tourist, für den er uns hält, kann unmöglich etwas davon wissen. Zweitens ist es noch gar nicht des Bischofs Vogeltränke. Dazu wurde sie erst im Jahre 1926.«
    »Und davor?«
    »Eine gußeiserne Reliefurne mit Säulenfuß. Vielleicht auch eine Obstschale.«
    Plötzlich verstummte das Hämmern hinterm Zaun, und man hörte geisterhaft hallendes Fluchen.
    Verity schaute zu Tossie und Terence, die auf ein Buntglasfenster deuteten, und fragte: »Und was geschah 1926?«
    »Da gab es ein Treffen des Blumenausschusses, bei dem es besonders erbittert zuging«, sagte ich, »und bei dem eine der Damen vorschlug, für die Blumen im Kirchenschiff eine hohe Vase aus Keramik anzuschaffen, eine von denen, die zu jener Zeit besonders beliebt waren und die man Vogeltränken nannte. Allerdings hatte der Bischof aber kurz zuvor erst gravierende finanzielle Kürzungen im Unterhalt der Kathedrale eingeführt, und deshalb wurde der Vorschlag mit der Begründung abgeschmettert, daß das eine unnötige Ausgabe sei und daß irgendwo doch noch etwas herumstehen müsse, was man statt dessen verwenden könne – zum Beispiel diese Reliefurne, die seit zwanzig Jahren hinten in der Krypta verstaubte. Danach wurde diese immer etwas bitter als ›das, was der Bischof für eine Vögeltränke hält‹ bezeichnet, eine Bemerkung, die sich schließlich verkürzte zu…«
    »… des Bischofs Vogeltränke.«
    »Aber wenn sie nicht so hieß, als Tossie sie sah, woher weiß Lady Schrapnell dann, was Tossie sah?«
    »Sie hat sie über zwanzig Jahre lang in ihren Tagebücher ausführlich beschrieben«, sagte ich. »Und als Lady Schrapnell ihr Projekt plante, wurde ein Historiker ins Frühjahr 1940 geschickt, um sie nach diesen Beschreibungen zu identifizieren.«
    »Könnte dieser sie gestohlen haben?«
    »Nein.«
    »Woher wollen Sie das so genau wissen?«
    »Weil ich es war.«
    »Cousine«, rief Tossie. »Komm doch mal rüber und schau, was wir gefunden haben.«
    »Vielleicht hat sie das Ding ohne uns gefunden«, sagte ich, aber es handelte sich nur um ein weiteres Grabmal, in das Bildnisse von Kleinkindern in Wickelkissen eingraviert war.
    »Ist das nicht süß?« fragte Tossie. »Sieh doch mal die goldigen Babies.«
    Die Südtür öffnete sich, und Baine kam herein, tropfnaß, eine Ausgabe des »Licht« in der Jacke verborgen.
    »Baine!« rief Tossie.
    Er kam herbei, eine Wasserspur hinter sich. »Ja, Miss?«
    »Es ist kühl hier drinnen. Holen Sie mir meinen rosa Perserschal. Den mit den Fransen. Und Miss Browns auch.«
    »Oh, das ist nicht nötig«, sagte Verity und schaute mitleidig auf Baines mitgenommenes Äußeres. »Mir ist überhaupt nicht kalt.«
    »Unsinn«, meinte Tossie. »Holen Sie beide. Und passen Sie auf, daß sie nicht naß werden!«
    »Sehr wohl, Miss«, sagte Baine. »Ich hole sie, sobald ich Ihrer Mutter dieses Heft gebracht habe.«
    Tossie verzog die Lippen zu einer Schnute.
    »Oh, schau mal, Cousine«, sagte Verity, bevor Tossie von Baine verlangen konnte, auf der Stelle die Schals zu holen. »Diese Misericordien zeigen die sieben Werke der Barmherzigkeit«, und Tossie ging folgsam zur Girdlerschen Kapelle, um sie und außerdem ein Fächergewölbe, einen schwarzen marmornen Altarstein und eine Grabplatte, die eine ausgesprochen lange und unverständliche Inschrift trug, zu bewundern.
    Verity nutzte diese Gelegenheit, mich weiter zu ziehen. »Was, wenn sie nicht hier ist?« flüsterte sie.
    »Sie ist hier«, sagte ich. »Sie verschwand nicht vor 1940.«
    »Ich meine wegen der Inkonsequenz. Was, wenn sich die Ereignisse verändert haben und sie bereits in die Krypta gebracht wurde oder auf einem Basar verkauft?«
    »Das Fest ist erst nächste Woche.«
    »In welchem Gang, sagten Sie, stand sie 1940?« Verity marschierte entschlossenen Schrittes ins hintere Kirchenschiff zurück.
    »Diesen Gang hier.« Ich versuchte, Schritt zu halten. »Vor der Smithschen Kapelle, aber das bedeutet nicht, daß

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