Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
Position zurück und setzte sich wieder an die Netzkonsole. »Vollkommen ausgeschlossen. Er könnte auch in dem Zustand, in dem er jetzt ist, gar nicht springen, selbst wenn ich in der Lage wäre, Ihren Sprung noch einzubauen. Außerdem müßte er sich erst mit den Gebräuchen und der Geschichte des victorianischen Zeitalters vertraut machen.«
    »Ned soll nicht mit der Königin Tee trinken«, sagte Dunworthy. »Sein Auftrag wird nur geringen Kontakt mit Zeitgenossen erfordern, wenn überhaupt. Dazu braucht er keinen Kurs in Victorianismus.«
    Der Seraph langte nach seinem Clipboard.
    Finch duckte sich.
    »Er ist fürs zwanzigste Jahrhundert eingeteilt«, sagte der Engel. »Er wäre ja dann außerhalb seines Bereiches. Nein, ich kann nicht erlauben, daß er dermaßen unvorbereitet losgeschickt wird.«
    »Auch gut«, sagte Dunworthy. Er wandte sich mir zu. »Darwin, Disraeli, das indische Problem, Alice im Wunderland, die kleine Neil, [7] Turner, Tennyson, Drei Mann in einem Boot, Krinolinen, Crocket…«
    »Federhalterwischer«, warf ich ein.
    »Federhalterwischer, gehäkelte Sofaschoner, Haarnetze, Prinz Albert, Erröten, Gehröcke, sexuelle Unterdrückung, Ruskin, Fagin, Elizabeth Barrett Browning, Dante Gabriel Rosetti, George Bernard Shaw, Gladstone, Galsworthy, Neugotik, Gilbert und Sullivan, Rasentennis und Sonnenschirme. So«, sagte er zu dem Seraphen. »Er ist vorbereitet.«
    »Für das neunzehnte Jahrhundert braucht man drei Semester politischer Geschichte, außerdem zwei…«
    »Finch«, sagte Dunworthy. »Gehen Sie zum Jesus College hinüber und holen Sie Kopfhörer und Kassetten. Ned kann sich im Schnellauf Sublimationen anhören, während Sie« – er wandte sich wieder an den Engel – »ihm Kleidung besorgen und den Sprung vorbereiten. Er braucht Sommerkleidung, weißes Flanell, Baumwollhemd, Bootsblazer. Als Gepäck…«
    »Gepäck!« rief der Seraph mit hervorquellenden Augen. »Ich habe keine Zeit, Gepäck zusammenzusuchen! Ich habe neunzehn Sprünge…«
    »Auch gut«, sagte Dunworthy. »Dann kümmern wir uns um das Gepäck. Finch, gehen Sie zum Jesus College hinüber und besorgen Sie victorianisches Gepäck. Haben Sie übrigens Chiswick angerufen?«
    »Nein, Sir. Er war nicht da. Ich habe eine Nachricht hinterlassen.«
    Damit verließ er das Labor, wobei er fast mit einem großen, schlanken jungen Farbigen zusammenprallte. Dieser trug einen Stapel Papiere und sah keinen Tag älter als achtzehn aus. Ich hielt ihn zuerst für einen der Demonstranten von draußen und streckte meine Hand nach einem der Zettel aus, aber der junge Mann ging schnurstracks auf Dunworthy zu und sagte nervös: »Mr. Dunworthy? Ich bin T. J. Lewis. Von der Abteilung Zeitreise. Sie wollten Mr. Chiswick sprechen?«
    »Ja. Wo steckt er?«
    »In Cambridge, Sir.«
    »In Cambridge? Was, zum Teufel, macht er denn da?«
    »Be-bewirbt sich um eine Stelle«, stammelte der junge Mann. »Er hat ge-gekündigt, Sir.«
    »Wann?«
    »Eben gerade. Sagte, er hielte die Arbeit für Lady Schrapnell keine Minute länger aus, Sir.«
    »Tja.« Dunworthy setzte die Brille ab und betrachtete sie. »Tja – dann… Na gut… Sie sind also Mr. Lewis?«
    »T. J. , Sir.«
    »T. J., sagen Sie doch bitte dem stellvertretenden Direktor – wie heißt er noch? Ranniford? –, daß ich ihn sprechen muß. Dringend.«
    T. J. machte ein unglückliches Gesicht.
    »Sagen Sie mir bloß nicht, daß er auch gekündigt hat!«
    »Nein, Sir. Er befindet sich in 1655 und untersucht Dachschiefern.«
    »Hätte ich mir denken können«, sagte Dunworthy angewidert. »Also holen Sie denjenigen, der jetzt dort drüben die Verantwortung trägt.«
    T. J.’s Miene wurde noch um ein paar Grade unglücklicher. »Äh, das wäre ich, Sir.«
    »Sie?« fragte Dunworthy überrascht. »Sie sind doch noch Student. Sie wollen mir doch nicht einreden, daß außer Ihnen niemand mehr dort drüben ist.«
    »Doch, Sir«, sagte T. J. »Aber Lady Schrapnell tauchte auf und nahm alle anderen mit. Sie hätte auch mich mitgenommen, aber die ersten Zweidrittel des zwanzigsten Jahrhunderts und das gesamte neunzehnte Jahrhundert sind Kategorie -10 für Farbige und deshalb für mich gesperrt.«
    »Wundert mich irgendwie, daß sie das zurückgehalten hat«, murmelte Dunworthy.
    »War auch nicht so«, sagte T. J. »Sie wollte, daß ich mich als Mohr verkleide und mich nach 1395 schicken, damit ich mich dort um Kirchturmskonstruktionen kümmere. Sie meinte, man könnte ja so tun, als hätten mich

Weitere Kostenlose Bücher