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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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sagte die Stimme im Ohrstöpsel. »Der Austernspieß liegt links daneben. Man hält die Schale ruhig in der linken Hand und hebt die Auster an einem Stück aus der Schale, wobei man, falls nötig, zur Unterstützung den Spieß benutzt.«
    Ich döste wieder hinweg, bis der Seraph mich rüttelte, um mir verschiedene Kleidungsstücke anzuprobieren und die weiße Salbe abzuwischen.
    Ich berührte vorsichtig meine Oberlippe. »Wie sieht es aus?«
    »Schief«, entgegnete der Seraph. »Ist aber nicht zu ändern. Haben Sie Rasierzeug für ihn eingepackt?«
    »Ja«, sagte Finch, der gerade mit einem großen geflochtenen Picknickkorb ins Zimmer kam. »Zwei Haarbürsten aus dem Ashmoleia-Museum, einen Rasierpinsel und eine Seifenschale. Hier ist das Geld.« Er reichte mir eine Brieftasche, die fast so groß wie das Portmanteau war. »Es sind fast nur Münzen. Die Banknoten aus dieser Zeit haben ziemlich an Wert verloren. Hier, noch das Bettzeug. Ich habe den Korb voll Proviant gepackt, und in den Kartons sind Konservendosen.« Er eilte wieder hinaus.
    »Die Fischgabel wird links neben die Fleisch- und Salatgabeln gelegt«, schwadronierte die Stimme. »Man erkennt sie an den spitzen, gebogenen Zinken.«
    Der Seraph, über dessen Arm ein feuchtes weißes Kleid hing, reichte mir ein Hemd zum Anprobieren. Ich dachte an die Wassernymphe, wie sie den Flatterärmel über dem Teppich auswrang, das Abbild reinster Schönheit. Ich überlegte, ob Wassernymphen Fischgabeln benutzten und ob sie Männer mit Schnurrbärten mochten. Hatte Hylas auf dem Gemälde von Waterhouse einen Schnurrbart? Das Gemälde hieß Hylas und die… Das Wort begann mit einem N. Wie nannten sie sich bloß?
    Die Verschwommenheit dauerte an. Ich erinnere mich, daß Finch mit noch mehr Gepäck hereinkam, einem Weidenkorb mit Deckel, daß der Seraph etwas in meine Westentasche stopfte und daß Finch mich an der Schulter rüttelte und fragte, wo Dunworthy sei.
    »Er ist nicht hier«, erwiderte ich, irrte mich aber. Er stand direkt neben dem Weidenkorb und wollte wissen, was Finch herausgefunden hatte.
    »Wie groß war der Schlupfverlust?« fragte er.
    »Neun Minuten«, erwiderte Finch.
    »Neun Minuten?« Dunworthy runzelte die Stirn. »Und Miss Kindles andere Sprünge?«
    »Minimal. Zwei Minuten bis zu einer halben Stunde. Man kommt an einer einsamen Stelle an. Die Chance, gesehen zu werden, ist äußerst gering.«
    »Bis auf das eine Mal, wo man doch gesehen wird«, meinte Dunworthy, immer noch mit gerunzelter Stirn. »Und die Rückkehr?«
    »Rückkehr?« fragte Finch. »Bei der Rückkehr gibt es keine Schlupfverluste.«
    »Das weiß ich«, sagte Dunworthy. »Wir haben hier aber eine ungewöhnliche Situation vor uns.«
    »Ja, Sir«, entgegnete Finch. Er ging zu Miss Wärter und konferierte einige Minuten lang mit ihr. »Kein Schlupfverlust bei der Rückkehr«, sagte er, als er wiederkam.
    Dunworthys Miene entspannte sich.
    »Was ist mit Hasselmeyer?«
    »Ich habe ihm eine Nachricht durchgegeben.«
    Die Tür öffnete sich, und T. J. Lewis eilte mit einem dünnen Stapel Papiere ins Zimmer. »Ich habe alles Verfügbare zusammengesucht«, sagte er. »Viel ist es nicht. Die Geräte zur Messung von Inkonsequenzen sind außerordentlich teuer. Zeitreise plante, das Geld von dem Kathedralenprojekt dafür zu verwenden. Die meisten der heutigen Physiker halten Inkonsequenzen für unmöglich. Außer Fujisaki.«
    »Fujisaki hält sie für möglich? Wie lautet seine Theorie?«
    »Er hat zwei Theorien. Die eine lautet, daß es keine Inkonsequenzen sind, da es Objekte und Ereignisse im Raumzeitkontinuum gibt, die unwichtig sind.«
    »Wie kann das sein? In einem chaotischen System ist jedes Ereignis mit jedem anderen verknüpft.«
    »Stimmt, aber das System ist nichtlinear«, entgegnete T. J., in den Papieren blätternd. »Es gibt Rückkopplungen und Vorwärtsentwicklungen, Überzähliges und Interferenzen, und so ist die Auswirkung auf einige Objekte und Ereignisse extrem und auf andere wiederum gleich Null.«
    »Und eine parachronistische Inkonsequenz ist ein Objekt, dessen Entfernung keine Auswirkung hat?«
    T. J. grinste. »Genau. Wie die Luft, welche die Historiker in ihren Lungen mitbringen oder«, er schaute zu mir, »der Ruß. Seine Entfernung erzeugt keine Rückwirkung im System.«
    »Und in diesem Fall braucht dieses Objekt auch nicht in seine ursprüngliche Zeit zurückgebracht zu werden?« fragte Dunworthy.
    »In diesem Fall kann es höchstwahrscheinlich nicht

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