Die Farben der Zeit
von Lady Schrapnell rekrutiert wurde. Der Frau muß Einhalt geboten werden, Dunworthy.« Das Handgerät begann wieder zu piepsen und zu speien. Chiswick las laut vor. »Noch keine Nachricht über Henrys Aufenthaltsort erhalten. Warum nicht? Erwarte sofortige Angabe. Brauche noch zwei Leute mehr für die Weltausstellung 1850. Sollen mögliche Herkunft der Vogeltränke erkunden.« Er zerknüllte den Ausdruck und warf ihn auf Dunworthys Schreibtisch. »Tun Sie etwas, und zwar sofort! Bevor sie die ganze Universität zerstört hat!« sagte er und rauschte aus dem Zimmer.
»Oder das bekannte Universum«, murmelte Dunworthy.
»Soll ich ihm nachlaufen?« fragte Finch.
»Nein«, sagte Dunworthy. »Versuchen Sie, Andrews zu erreichen, und beschaffen Sie aus der Bodleiana-Bibliothek alle Unterlagen über parachronistische Inkonsequenzen.«
Finch verschwand. Dunworthy nahm seine Brille wieder ab und spähte nachdenklich durch die Gläser.
»Es ist sicher nicht gerade der günstigste Zeitpunkt«, sagte ich, »aber haben Sie nicht eine Idee, wo ich eine Zeitlang ungestört Ruhe finden könnte? Außerhalb von Oxford?«
»Einmischung«, sagte Dunworthy. »Einmischung hat uns so weit gebracht, und noch mehr Einmischung wird alles nur schlimmer machen.« Er setzte die Brille wieder auf und erhob sich. »Wahrscheinlich ist es das beste, einfach abzuwarten, was passiert – falls etwas passiert«, sagte er auf und ab gehend. »Die Möglichkeiten, daß durch dieses Verschwinden der Lauf der Geschichte verändert wird, sind statistisch gesehen gleich Null, besonders wenn man jenes Zeitalter bedenkt. Ganze Würfe von ihnen wurden damals in Flüssen ersäuft, um ihr Aufkommen in Schach zu halten.«
Würfe von Plätzchen? Ich überlegte.
»Und die Tatsache, daß es durch das Netz gelangte, beweist selbst, daß es keine Inkonsequenz geschaffen hat, oder das Netz hätte sich nicht geöffnet.« Er wischte seine Brille am Aufschlag seiner Jacke ab und hielt sie gegen das Licht. »Es ist über hundertfünfzig Jahre her. Wäre das Universum dadurch zerstört worden, würde das sicher bis jetzt geschehen sein.«
Er hauchte die Brillengläser an und wischte sie erneut ab. »Und ich weigere mich zu glauben, daß zwei Zeitläufe existieren sollen, in denen Lady Schrapnell und ihr Projekt, die Kathedrale von Coventry wiederaufzubauen, existieren.«
Lady Schrapnell. Sie konnte jeden Augenblick vom Royal Masonic zurückkommen. Ich beugte mich im Sessel vor. »Mr. Dunworthy«, sagte ich, »ich hoffte, Sie würden ein Plätzchen wissen, an dem ich mich von der Zeitkrankheit erholen kann.«
»Andererseits könnte es gut sein, daß keine Inkonsequenz entstand, weil es schnell genug wieder zurückgebracht wurde und das Ganze deshalb keine Folgen nach sich zog, katastrophale oder andere.«
»Die Krankenschwester sagte, zwei Wochen Bettruhe, aber ich könnte auch in drei, vier Tagen wieder auf den Beinen…«
»Doch selbst wenn das der Fall sein sollte«, Dunworthy stand auf und begann auf und ab zu marschieren, »gibt es trotzdem keinen Grund zur Eile. Das ist das Schöne am Zeitreisen. Man kann drei, vier Tage warten oder zwei Wochen, selbst ein Jahr, und die Sachen werden doch sofort wieder zurückgebracht.«
»Wenn Lady Schrapnell mich findet…«
Er blieb stehen und starrte mich an. »Das habe ich ja ganz vergessen. Oh, mein Gott, wenn Lady Schrapnell das erfährt…«
»Wenn Sie mir einfach ein ruhiges, abgelegenes Fleckchen…«
»Finch!« schrie Dunworthy, und Finch erschien aus dem äußeren Büro, einen Ausdruck in der Hand.
»Hier habe ich alles über parachronistische Inkonsequenzen«, sagte er. »Viel ist es nicht. Mr. Andrews ist in 1560. Lady Schrapnell schickte ihn dorthin, um Lichtgaden zu studieren. Soll ich noch mal Mr. Chiswick holen?«
»Eins nach dem anderen«, sagte Dunworthy. »Zuerst müssen wir für Ned ein Plätzchen finden, wo er sich ausruhen und ohne Störung von seinen Symptomen erholen kann.«
»Lady Schrapnell…«
»Genau«, sagte Dunworthy. »So etwas gibt es in diesem Jahrhundert nicht. Im zwanzigsten Jahrhundert ebensowenig. Und es muß friedlich und abgelegen sein, ein Landhaus vielleicht, oder eher ein Fluß. Die Themse…«
»Sie wollen doch nicht etwa…?« rief Finch.
»Er muß sofort verschwinden«, sagte Dunworthy. »Bevor Lady Schrapnell es merkt.«
»Oh!« Finch japste. »Ja, ich verstehe. Aber Mr. Henry ist nicht in der Verfassung, zu…« Dunworthy schnitt ihm das Wort ab.
»Ned«, sagte
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