Die Farben der Zeit
Ende des Korridors die Eingangstür öffnete. Es blieb mir nichts anderes übrig – ich mußte ins Wohnzimmer, ob mit oder ohne Informationen. Ich schaute auf Cyril hinunter. Mrs. Mering würde zweifelsohne wissen wollen, was er im Haus suchte. Unter den gegebenen Umständen gab das eine ganz willkommene Abwechslung.
»Tocelyn ist viel zu zart gebaut. Sie eignet sich nicht zur Krankenpflege«, sagte Mrs. Mering gerade. »Und der Anblick ihres armen kranken Vaters würde sie viel zu sehr aufregen.«
Ihres armen kranken Vaters! Also war Colonel Mering der Kranke. Wieso aber ging er dann zum Fischteich? Ich öffnete die Tür.
»Ich dachte, du würdest mehr Anteilnahme für deinen armen Onkel an den Tag legen«, sagte Mrs. Mering. »Ich bin fürchterlich enttäuscht von…«
»Guten Morgen«, sagte ich. Verity schaute mich dankbar an.
»Und wie geht’s Colonel Mering heute morgen?« fragte ich. »Besser, glaube ich. Ich sah ihn gerade draußen.«
»Draußen?« Mrs. Mering preßte die Hände an den Busen. »Er sollte doch auf keinen Fall aufstehen. Er wird sich den Tod holen. Mr. St. Trewes«, sagte sie zu Terence, der gerade hereingekommen war und wie ein armer Sünder neben der Tür stand. »Stimmt das? Ist mein Mann wirklich draußen? Sie müssen ihn sofort holen.«
Pflichtbewußt wandte sich Terence zum Gehen.
»Wo ist Tossie?« fragte Mrs. Mering verdrießlich. »Warum ist sie noch nicht heruntergekommen? Verity, sag Jane, sie soll Tossie holen.«
Terence erschien wieder, gefolgt von Jane und dem Colonel.
»Mesiel!« rief Mrs. Mering. »Was hat das zu bedeuten? Was wolltest du draußen? Du bist todkrank.«
»Mußte zum Fischteich«, sagte der Colonel und räusperte sich. »Nach dem Rechten sehen. Kann doch meine Goldfische nicht einfach unbeaufsichtigt dort draußen lassen, wo diese Katze überall herumlungert. Bin auf dem Rückweg von diesem närrischen Mädchen – kann mir den Namen nicht merken – das Stubenmädchen…«
»Colleen«, erwiderte Verity ohne nachzudenken.
»Jane.« Mrs. Mering warf ihr einen scharfen Blick zu.
»Sagte mir, ich solle auf der Stelle ins Haus kommen«, fuhr Colonel Mering fort. »Stellte sich fürchterlich an. Was soll das alles?«
Er wandte sich Jane zu, die schluckte, einen tiefen, schluchzenden Atemzug von sich gab und dann auf einem Silbertablett ein Briefkuvert präsentierte.
»Die Post, Sorrr«, sagte sie.
»Warum bringt Baine sie nicht?« wollte Mrs. Mering wissen. Sie nahm den Brief vom Präsentierteller. »Sicher von Madame Iritosky«, sagte sie und öffnete das Kuvert. »Die Erklärung, warum sie so plötzlich abreisen mußte.« Sie wandte sich an Jane. »Sagen Sie Baine, er soll zu uns kommen. Und Tossie, daß sie aufstehen soll. Sie wird diesen Brief hören wollen.«
»Ja, Ma’am.« Jane floh aus dem Zimmer.
»Ich hoffe nur, daß sie ihre Adresse beigelegt hat«, meinte Mrs. Mering und entfaltete mehrere dicht beschriebene Blätter, »damit ich ihr schreiben und unsere Erfahrung mit den Geistern in Coventry mitteilen kann.« Sie runzelte die Stirn. »Aber – das ist ja gar nicht von Madame…« Sie brach ab und las schweigend weiter.
»Von wem ist der Brief, meine Liebe?« fragte der Colonel.
»Oh«, sagte Mrs. Mering und wurde ohnmächtig.
Diesmal war es eine echte Ohnmacht. Mrs. Mering krachte auf die Anrichte, köpfte die eingetopfte Palme, zerbrach die Glaskuppel über dem Federarrangement und endete mit dem Kopf auf dem samtenen Fußschemel. Die Briefseiten flatterten um sie herum.
Terence und ich tauchten nach ihr. »Baine!« donnerte der Colonel, an der Klingelschnur reißend. »Baine!« Verity schob Mrs. Mering ein Kissen unter den Kopf und fächelte ihr mit dem Brief Luft zu.
»Baine!« brüllte der Colonel.
Jane erschien an der Tür, das Gesicht angsterfüllt.
»Sagen Sie Baine, er soll sofort kommen«, schrie der Colonel.
»Ich kann nicht, Sorrr.« Jane wrang ihre Schürze.
»Warum nicht?« blaffte er, und sie wich vor ihm zurück.
»Er ist fort, Sorrr.«
»Was meinen Sie damit – ›fort‹?« wollte Colonel Mering wissen. »Fort wohin?«
Sie verwurstelte ihre Schürze zu einem festen Knoten. »Der Brief«, sagte sie und wrang die Knotenenden.
»Was meinen Sie damit? Ist er zum Postamt? Nun, auf, holen Sie ihn!« Er scheuchte das Mädchen aus dem Zimmer. »Verdammte Madame Iritosky! Macht meine Frau verrückt, obwohl sie gar nicht hier ist! Verdammter spiritistischer Unfug!«
»Unsere Tochter«, sagte Mrs. Mering, deren
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