Die Farben der Zeit
Augenlider flatterten. Sie richtete den Blick auf den Brief, mit dem Verity fächelte. »Oh, der Brief! Der schicksalhafte Brief…« Und wieder war sie weg.
Jane kam mit dem Riechsalz ins Zimmer gerannt.
»Wo, zum Teufel, ist Baine?« polterte der Colonel. »Haben Sie ihn nicht geholt? Und holen Sie augenblicklich Tossie. Ihre Mutter braucht sie.«
Jane setzte sich auf den vergoldeten Stuhl, warf sich die Schürze über den Kopf und fing zu weinen an.
»Na, na«, brummte der Colonel, »was soll das? Stehen Sie auf, Mädchen.«
»Verity!« Kraftlos griff Mrs. Mering nach Veritys Arm. »Der Brief. Lies ihn vor. Ich kann es nicht…«
Folgsam hörte Verity mit dem Fächeln auf und hielt den Brief hoch. »›Liebster Papa, allerbeste Mami‹«, las sie mit einem Gesicht, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Ich machte einen Schritt auf sie zu, aber sie wehrte mit einem wortlosen Kopfschütteln ab und las weiter. »›Liebster Papa, allerbeste Mami, wenn Ihr diesen Brief lest, bin ich bereits eine verheiratete Frau.‹«
»Verheiratet?« fragte Colonel Mering. »Was meint sie damit – verheiratet?«
»›… und ich werde glücklicher sein als ich jemals war oder erhofft hatte, zu werden.‹« Verity las weiter. »›Es tut mir furchtbar leid, Euch auf diese Weise verlassen zu müssen, besonders Papa, der so krank ist, aber ich befürchtete, daß Ihr, wenn Ihr von unserem Vorhaben erfahren hättet, mir verboten hättet zu heiraten, und ich weiß, daß Ihr, wenn Ihr Baine erst einmal so gut kennengelernt habt wie ich…‹« Verity versagte die Stimme. Als sie fortfuhr, war ihr Gesicht kreidebleich. »›… daß Ihr ihn dann nicht mehr als Dienstboten seht, sondern als den liebsten, besten und freundlichsten Mann auf der Welt und daß Ihr uns beiden vergeben werdet.‹«
»Baine?« fragte Colonel Mering verständnislos.
»Baine«, stöhnte Verity. Sie ließ den Brief sinken und schaute mich kopfschüttelnd und verzweifelt an. »Nein. Das kann sie doch nicht getan haben!«
»Sie ist mit dem Butler durchgebrannt?« fragte Terence.
»Oh, Mr. St. Trewes, Sie armer Junge!« Mrs. Mering verkrampfte die Hände überm Busen. »Sie müssen am Boden zerstört sein!«
Er sah nicht danach aus. Sein Blick war leer und hatte jenen unbestimmten Ausdruck, den Soldaten bekommen, wenn sie gerade ein Bein verloren haben oder gesagt worden war, daß sie nach Hause fahren können, und es noch nicht ganz begriffen haben.
»Baine?« Colonel Mering warf Jane einen finsteren Blick zu. »Wie konnte so was passieren?«
»Lies weiter, Verity«, sagte Mrs. Mering. »Wir müssen uns dem Schlimmsten stellen.«
»Dem Schlimmsten«, murmelte Verity und nahm den Brief. »›Ohne Zweifel seid Ihr neugierig zu erfahren, wie das alles so schnell gekommen ist.‹«
Neugierig war noch milde ausgedrückt.
»›Alles begann mit unserem Ausflug nach Coventry.‹« Verity versagte die Stimme, und Mrs. Mering entriß ihr ungeduldig den Brief. »›… unserem Ausflug nach Coventry‹«, las sie weiter, »›ein Ausflug, von dem ich jetzt weiß, daß die Geister uns geleitet haben, damit ich meine wahre Liebe finde.‹ Lady Godiva! Sie ist für das alles verantwortlich! ›Als wir dort waren, bewunderte ich eine Urne, die auf einem schmiedeeisernen Pfosten stand und die, wie ich jetzt weiß, eine grauenhafte Geschmacklosigkeit ist und jede Klarheit in Form und Gestaltung vermissen läßt, aber ich war nie richtig über künstlerische Feinheiten oder über Poesie und Literatur unterrichtet worden und deshalb nur ein unwissendes, verzogenes, gedankenloses Mädchen.
Ich fragte Baine, denn ich denke immer noch so an ihn, obwohl ich lernen muß, ihn William zu nennen, meinen geliebten Ehemann! Wie süß ist der Klang dieses kostbaren Wortes! Ich forderte ihn auf, in meinen Lobpreis dieser Urne einzustimmen, aber er tat es nicht. Nicht nur das – er nannte sie scheußlich und sagte mir, daß ich keinen Geschmack besäße, wenn mir so etwas gefiele.
Niemals zuvor hatte mir jemand widersprochen. Immer hatten mich alle in meinen Ansichten unterstützt und allem, was ich sagte zugestimmt, außer Cousine Verity, die mich ein paarmal verbesserte, aber ich dachte, sie sei einfach neidisch, weil sie unverheiratet und ohne Aussichten auf einen Ehemann ist. Ich versuchte, ihr zu helfen, indem ich vorschlug, ihr Haar vorteilhafter zu frisieren, aber mehr konnte ich für sie nicht tun, das arme Ding.‹«
»So was nennt man alle Brücken hinter sich
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