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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Wochen auf Schritt und Tritt in der Hoffnung, daß sie ihr Tagebuch einmal offen herumliegen läßt. Oder nach Coventry geht. Sie müßte bald dorthin gehen. Als ich Coventry erwähnte, sagte sie, sie sei noch nie dort gewesen, und wir wissen, daß sie irgendwann im Juni dieses Jahres dort war. Es wird also bald geschehen.«
    »Und so haben Sie ihre Katze gekidnappt und ihr Tagebuch als Lösegeld verlangt?«
    »Nein«, sagte sie. »Es war nach meinem Bericht an Dunworthy. Ich kam zurück und sah Baine, das ist der Butler…«
    »Der Bücher liest«, warf ich ein.
    »Der ein wahnsinniger Mörder ist«, sagte sie. »Er trug gerade Prinzessin Arjumand im Arm, und als er zur Uferböschung kam, ein vollkommener Junitag. Die Rosen sind so herrlich.«
    »Bitte?« Ich fühlte mich wieder desorientiert.
    »Und der Goldregen! Mrs. Mering hat eine Laube voll Goldregen, die immer so malerisch wirkt!«
    »Entschuldigen Sie, Miss Brown«, sagte Baine, der aus dem Nichts auftauchte, mit einer kleinen, steifen Verbeugung.
    »Was ist, Baine?« fragte Verity.
    »Es geht um Miss Merings Katze, Ma’am«, sagte Baine unbehaglich. »Ich fragte mich, ob Mr. St. Trewes’ Anwesenheit bedeutet, daß er sie gefunden hat.«
    »Nein, Baine«, erwiderte Verity, und die Temperatur um uns herum sank um mehrere Grade. »Prinzessin Arjumand wird immer noch vermißt.«
    »Das beunruhigte mich«, sagte er und verbeugte sich wieder. »Soll ich jetzt die Kutsche holen?«
    »Nein«, entgegnete sie frostig. »Vielen Dank, Baine.«
    »Mrs. Mering erwartet Sie zum Tee zurück.«
    »Das weiß ich, Baine. Vielen Dank.«
    Er zögerte immer noch. »Die Fahrt zu Madame Iritosky dauert eine halbe Stunde.«
    »Ja, Baine. Lassen Sie das meine Sorge sein.« Ihr Blick folgte dem Butler, bis er wieder bei der Kutsche war. »Dieser kaltblütige Mörder!« brach es dann aus ihr heraus. »›Ich fragte mich, ob Mr. St. Trewes die Katze gefunden hat‹. Er weiß genau, daß das nicht so ist. Und das Gerede, wie beunruhigt er sei! Dieses Ungeheuer!«
    »Sind Sie sicher, daß er sie ersäufen wollte?« fragte ich.
    »Natürlich bin ich mir sicher. Er schleuderte sie so weit in den Fluß hinaus, wie er nur konnte.«
    »Vielleicht ist es so üblich. Ich erinnere mich gelesen zu haben, daß man Katzen im victorianischen Zeitalter ersäufte. Vor allem, um ihre Zahl in Grenzen zu halten.«
    »Ja, neugeborene Kätzchen, aber keine ausgewachsenen Tiere. Und keine Haustiere. Prinzessin Arjumand ist das Liebste, was Tossie besitzt, außer sich selbst. Die Kätzchen, die ersäuft wurden, waren Bauernhoftiere, keine Haustiere. Der Bauer auf dem Hof gerade hinter Muchings End ersäufte letzte Woche einen ganzen Wurf. Steckte sie in einen Sack, der mit Steinen beschwert war, und warf sie in seinen Teich. Das ist zwar barbarisch, aber nicht bösartig. Dies hier war bösartig. Nachdem Baine sie in den Fluß geworfen hatte, rieb er sich die Hände und ging lächelnd zum Haus zurück. Er hatte ohne Zweifel vor, sie zu töten.«
    »Ich dachte, Katzen könnten schwimmen.«
    »Nicht in der Mitte der Themse. Wenn ich nicht eingegriffen hätte, wäre sie von der Strömung abgetrieben worden.«
    »Das Fräulein von Shalott«, murmelte ich.
    »Wie?«
    »Nichts. Warum sollte er die Katze seiner Herrin ertränken wollen?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht hat er etwas gegen Katzen. Vielleicht nicht nur gegen Katzen, und wir finden uns eines Nachts alle ermordet in unseren Betten wieder. Vielleicht ist er Jack the Ripper. Der war doch 1888 am Werk, nicht wahr? Und seine wahre Identität wurde nie entdeckt. Ich konnte jedenfalls nicht einfach dastehen bleiben und zusehen, wie Prinzessin Arjumand ertrank. Katzen sind eine ausgestorbene Spezies.«
    »Und so tauchten Sie ins Wasser und retteten sie.«
    »Ich watete hinein«, verteidigte sie sich. »Ich bekam sie zu fassen und brachte sie zum Ufer zurück, aber gerade als ich das tat, fiel mir ein, daß eine victorianische Dame nie auf diese Art ins Wasser gewatet wäre. Ich hatte nicht einmal die Schuhe ausgezogen. Ich überlegte nicht weiter. Ich handelte. Ich duckte mich ins Netz, und es öffnete sich. Dabei wollte ich mich bloß verstecken. Ich wollte kein Problem erzeugen.«
    Kein Problem. Sie hatte etwas getan, von dem die Zeittheorie behauptete, es sei unmöglich. Und damit wahrscheinlich eine Inkonsequenz im Kontinuum erzeugt. Kein Wunder, daß Dunworthy Chiswick alle diese Fragen gestellt und den armen T. J. Lewis so in die Mangel genommen hatte.

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