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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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wirklich allerliebst. Nicht wahr, Mr. St. Trewes?«
    Terence nickte abwesend, den Blick verklärt auf Tossie gerichtet. Ich sah, wie Verity die Stirn runzelte. »Das müssen wir unbedingt sehen«, sagte sie und raffte mit der behandschuhten Hand ihre Röcke. »Mr. Henry?«
    »Unbedingt«, stimmte ich zu, bot ihr meinen Arm, und wir gingen alle gemeinsam in die Kirche hinein, an einem Schild vorbei, auf dem zu lesen stand: »Unbefugten ist das Betreten bei Strafe verboten!«
    Die Kirche war kalt, und es roch leicht nach altem Holz und stockfleckigen Gesangbüchern. Der Innenraum war mit dicken normannischen Säulen geschmückt sowie einem hohen frühenglischen Gewölbe, welches das Allerheiligste beherbergte, einem victorianischen Rosettenfenster und einem großen Anschlag, auf dem stand: »Das Betreten des Altarraums ist verboten!«
    Tossie ignorierte die Bitte großzügig, ebenso den normannischen Schiefertaufstein, und rauschte zu einer Wandnische gegenüber der Kanzel. »Ist das nicht süüüß?«
    Jetzt stand außer Frage, daß sie mit Lady Schrapnell verwandt war, und ebenso, woher Lady Schrapnell ihren Geschmack geerbt hatte, wobei man bei Tossie allerdings noch die Entschuldigung geltend machen konnte, daß sie schließlich Victorianerin und Teil einer Zeit war, die nicht nur den St. Pancras Bahnhof erbaut hatte, sondern auch noch das Albert Memorial.
    Die Vase in der Wandnische glich beidem, bloß fehlten die grandiosen Ausmaße. Sie besaß nur eine Ebene und keine korinthischen Säulen, dafür aber Efeuranken und ein Halbrelief, das entweder die Arche Noah oder die Schlacht von Jericho zeigte.
    »Was soll das darstellen?« fragte ich.
    »Herodes’ Mord an den Erstgeborenen«, murmelte Verity.
    »Die Töchter des Pharaos, die im Nil baden«, erklärte Tossie. »Schau, dort im Schilf sieht das Körbchen von Moses. Ich wollte, wir hätten so etwas in Muchings End. In unserer Kirche gibt es nur alten Krimskrams. Das hier ist wie in diesem Gedicht von Tennyson.« Begeistert klatschte sie in die Hände. »Dem Gedicht über eine griechische Vase.«
    Das letzte, was wir brauchten, war Terence, der die Ode an eine griechische Vase von Keats zitierte. Ich schaute Verity verzweifelt an und überlegte krampfhaft, unter welchem Vorwand wir uns am unauffälligsten entfernen und wo wir uns am besten unterhalten konnten. Die Zahnornamente? Cyril? Verity betrachtete seelenruhig das steinerne Deckengewölbe, als hätten wir alle Zeit der Welt zur Verfügung.
    »›Schönes ist wahr, und Wahres schön‹«, sagte Terence, »›das ist, was ihr auf Erden wißt, mehr…‹«
    »Ob’s hier spukt?« fragte Tossie.
    Terence hielt mit dem Zitieren inne. »Spukt?«
    »Spukt!« wiederholte Tossie glückstrahlend und stieß die Miniversion eines Schreies aus, eine Art Schreichen. »Natürlich tut es das. Madame Iritosky sagt, daß es bestimmte Orte gibt, die als Portale zwischen den Welten dienen.«
    Ich schaute Verity an, aber ihre Haltung blieb gelassen, ungerührt davon, daß Tossie gerade das Netz beschrieben hatte.
    »Madame Iritosky sagt, daß Geister sich oft neben diesen Portalen aufhalten, durch die ihre Seelen auf die Andere Seite wandern«, erklärte Tossie Terence. »Viele Seancen schlagen deshalb fehl, weil sie nicht nahe genug an einem Portal abgehalten werden. Deshalb hält Madame Iritosky ihre Seancen immer zu Hause ab, anstatt ihre Klienten zu besuchen. Und ein Kirchhof würde eigentlich ein logisches Portal sein.« Sie schaute zu dem Rippengewölbe hoch und stieß ein weiteres Schreichen aus. »Sie könnten eben gerade bei uns sein!«
    »Der Kirchenvorsteher wird sicher wissen, ob es hier Geister gibt«, schlug Verity hilfreich vor.
    Ja. Und dann ein Schild aufstellen: »Keine Erscheinungen!«. Oder »Kein Ektoplasma bitte!«
    »Ja, natürlich!« Tossie gab ein weiteres Schreichen zum Besten. »Mr. St. Trewes, wir müssen den Kirchenvorsteher fragen!« Sie verließen die Kirche, studierten das Schild und gingen dann in Richtung Harwood House, wo der Kirchenvorsteher ohne Zweifel erfreut sein würde, sie zu sehen.
    »Dunworthy sagte mir nur, daß er mich zwei Stunden, bevor ich die Katze gerettet hatte, zurückschicken würde«, nahm Verity den Faden wieder auf. »Dann sollte ich Bericht erstatten, ob es irgendwelche Zwischenfälle oder außergewöhnliche Schlupfverluste gegeben habe. Ich nahm an, Prinzessin Arjumand sei bereits wieder in Muchings End eingetroffen. Aber als ich ankam, war sie nicht da. Tossie hatte

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