Die Farben der Zeit
Professor weiter, bis wir an der Anlegestelle ankamen, wo eine alte Frau mit Morgenhaube Terence gerade zum Kauf eines Bechers mit dem Bild der Boulterschleuse darauf zu überreden versuchte.
»So ein hübsches Andenken an Ihren Ausflug flußabwärts«, sagte sie. »Immer wenn Sie Tee trinken, werden Sie an diesen Tag denken.«
»Davor hab’ ich ja grade Angst«, sagte Terence. Und zu mir: »Wo warst du die ganze Zeit?«
»Angeln«, sagte ich. Ich stieg ins Boot, setzte die Reisetasche ab und hielt Professor Peddick die Hand hin, um ihm zu helfen. Er beugte sich gerade über seinen Kessel und begutachtete den Inhalt durch sein Monokel.
»Er hat das Telegramm doch abgeschickt, oder?« fragte Terence.
Ich nickte. »Er hat mir die gelben Papierstreifen gezeigt.«
Cyril hatte sich auf den Kai gelegt und war in Tiefschlaf gesunken. »Auf, Cyril«, sagte ich. »Professor? Tempus fugit!«
»Weißt du, wie spät es ist?« Terence schwenkte die Taschenuhr vor meiner Nase. »Mist! Es ist fast elf!«
Ich ließ mich auf der Ruderbank nieder und stellte die Reisetasche zwischen meine Knie. »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Ab hier haben wir freie Fahrt.«
»Nichts – aber auch rein gar nichts – macht nur annähernd so viel Spaß, wie mit einem Boot einfach durch die Gegend zu rudern…«
»Der Wind in den Weiden«
Kenneth Graham
10. Kapitel
Freie Fahrt • Ein keinesfalls malerischer Teil des Flusses • Das rührselige Verhältnis der Victorianer zu Natur • Die Wichtigkeit von Wohltätigkeitsbasaren für den Lauf der Geschichte • Wir treffen Drei Mann in einem Boot, ganz zu schweigen von dem Hunde • Cyril kontra Montmorency • Die Sache mit dem Labyrinth • Ein Verkehrsstau • Ein Teekessel • Wie Kleinigkeiten den Lauf der Geschichte beeinflussen können • Noch ein Schwan • Schiffsbruch! • Vergleiche mit der Titanic • Ein Überlebender • Eine Ohnmacht
Erstaunlicherweise hatten wir wirklich freie Fahrt oder besser gesagt: freies Rudern, denn unser Boot war weit und breit das einzige auf dem ruhig dahinfließenden Wasser, über das eine erfrischende Brise strich. Die Sonne glitzerte auf den Wellen. Ich bedachte meine Sitzhaltung, hielt die Knie geschlossen und geöffnet, die Riemen platt und ruderte kräftig. Gegen Mittag hatten wir die Schleuse bei Clifton hinter uns und konnten die Kalkfelsen von Clifton Hampden mit der Kirche obendrauf sehen.
Die Karte nannte diesen Teil des Flusses einen »keinesfalls malerischen Teil der Themse« und schlug vor, mit der Bahn nach Goring zu fahren, um ihn zu umgehen. Angesichts der saftig grünen, von blühenden Hecken durchzogenen Wiesen und der mit hohen Pappeln bestandenen Uferbänke war nur schwer vorstellbar, wie die malerischen Flußabschnitte aussehen sollten.
Überall wuchsen Blumen. Auf den Wiesen blühten Butterblumen, wilde Möhren und Kuckucksblumen, entlang dem Ufer blaue Schwertlilien und Rosen und in den Gärten des Schleusenwärters von wucherndem Efeu bedrohte Löwenmäulchen. Sogar auf dem Wasser blühte es. Die Seerosen trugen rosafarbene tassenförmige Blüten, und selbst die Binsen waren mit purpurfarbenen und weißen Büscheln geschmückt. In allen Regenbogenfarben schillernde Libellen schossen pfeilschnell zwischen ihnen umher, und riesengroße Schmetterlinge flatterten dem Boot hinterher und ruhten sich auf dem schiefen Gepäckstapel aus, der dadurch umzustürzen drohte.
Etwas weiter entfernt, hinter einer Gruppe Ulmen, konnte man einen Spitzturm erkennen. Das einzige, was noch fehlte, war ein Regenbogen. Kein Wunder, daß die Victorianer so rührselig gewesen waren, was die Natur betraf.
Terence löste mich am Ruder ab, und unser Boot glitt um eine Flußbiegung, an einem strohgedeckten, mit Prunkwinden beinahe zugewachsenen Häuschen vorbei auf eine gebogene Brücke aus goldenfarbenem Stein zu.
»Schrecklich, was sie mit dem Fluß angestellt haben«, sagte Terence und zeigte auf die Brücke. »Eisenbahnbrücken, Ufermauern und Gaswerke. Die Landschaft ist völlig ruiniert.«
Wir ruderten unter der Brücke durch. Auf dem Fluß befanden sich kaum Boote. Wir passierten zwei Männer in einem Fischerkahn, der unter einer Buche vertäut lag. Die beiden winkten uns zu und hielten eine lange Schnur mit darauf aufgereihten Fischen hoch. Ich war froh, daß Professor Peddick schlief. Und Prinzessin Arjumand auch.
Während Terence und ich die Plätze wechselten, hatte ich einmal kurz nach ihr gesehen, und sie
Weitere Kostenlose Bücher