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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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schlief immer noch wie hingemäht. In der Reisetasche zusammengerollt, die Pfötchen unters Kinn geschoben, sah sie nicht aus, als sei sie imstande, den Lauf der Welt zu verändern oder gar das Raumzeitgefüge zu zerstören. Aber danach hatte Davids geschleuderter Stein oder der Schimmelpilz in der Petrischale von Fleming auch nicht ausgesehen, genauso wenig wie die Tonne voller Ramsch, die Abraham Lincoln unbesehen auf einem Wohltätigkeitsbasar für einen Dollar gekauft hatte.
    In einem chaotischen System konnte alles, ob Karre oder Erkältung, wichtig und jeder Punkt ein kritischer sein. Die Tonne hatte eine vollständige Ausgabe von Blackstones Kommentaren enthalten, die Lincoln sich nie im Leben hätte leisten können. Sie hatte ihm ermöglicht, Anwalt zu werden.
    In einem chaotischen System gab es aber auch Vorwärtsschleifen, Interferenzmuster und Gegengewichte, und die meisten aller Aktionen hoben sich durch andere auf. Der überwiegende Teil aller Stürme zerstörte keine Flotten, die meisten Trinkgelder verursachten keine Revolutionen und fast alle Dinge, die man auf einem Wohltätigkeitsbasar kaufte, zogen nichts weiter als Staub an.
    So gesehen hatte die Katze nur unendlich wenige Möglichkeiten, die Welt zu verändern, vor allem wenn wir unser momentanes Reisetempo beibehielten.
    »Weißt du«, sagte Terence und packte das Brot und den Käse aus, den er in Abingdon gekauft hatte, »wenn wir so weitermachen, müßten wir um ein Uhr an der Tagschleuse sein. Außer uns ist weit und breit keiner auf dem Fluß.«
    Ausgenommen ein kleines Boot mit drei Männern darin, allesamt in Blazern und mit Schnurrbärten, das gerade flußabwärts auf uns zuhielt. Auf dem Bug thronte ein kleiner Hund, der aufmerksam nach vorn blickte. Als die drei näherkamen, konnten wir ihre Stimmen deutlich hören.
    »Wie lang dauert’s noch, bis du mich ablöst, Jay?« fragte der Ruderer den Mann, der im Bug lag.
    »Du ruderst erst zehn Minuten, Harris«, erwiderte der im Bug.
    »Nun denn, wie lang dauert’s noch bis zur nächsten Schleuse?«
    Der dritte Mann, der untersetzter war als die beiden anderen, sagte: »Wann machen wir Teepause?« und nahm ein Banjo zur Hand.
    Der Hund sichtete unser Boot und bellte. »Laß das, Montmorency«, sagte der im Bug Liegende. »Bellen ist unhöflich.«
    »Terence!« Ich richtete mich halb auf. »Das Boot dort drüben!«
    Er schaute über die Schulter. »Keine Gefahr. Halt einfach den Kurs.«
    Der Banjospieler schlug ein paar verstimmt klingende Akkorde an und begann zu singen.
    »Nicht singen, George!« riefen der Ruderer und der im Bug Liegende wie aus einem Mund.
    »Und du ebensowenig, Harris!« fügte Jay hinzu.
    »Warum nicht?« fragte er pikiert.
    »Weil du dir nur einbildest, singen zu können«, sagte George.
    »So ist es«, sagte Jay. »Denk nur an die Sache mit dem ›Admiralslied‹ aus ›Pinafore‹.« [48]
    »Diddel-diddel-diddel-diddel-di«, sang George.
    »Sie sind es!« rief ich. »Terence, weißt du nicht, wer das ist? Drei Mann in einem Boot, ganz zu schweigen von dem Hunde.«
    »Hund?« fragte Terence geringschätzig. »Das nennst du einen Hund?« Er schaute liebevoll auf Cyril, der im Boden das Bootes lag und schnarchte. »Den könnte Cyril in einem Happen verschlucken.«
    »Verstehst du denn nicht?« sagte ich. »Drei Mann in einem Boot. Die Dose Ananas, Georges Banjo und das Labyrinth.«
    »Das Labyrinth?« fragte Terence verständnislos.
    »Ja, das Labyrinth. Weißt du nicht mehr, wie Harris mit seiner Karte durch das Labyrinth von Hampton Court lief, mit all den Menschen im Schlepptau, und die Karte stimmte nicht, und sie verirrten sich so hoffnungslos, daß der Wächter kommen mußte, um sie rauszuholen?«
    Ich lehnte mich aus dem Boot, um besser sehen zu können. Da waren sie, Jerome K. Jerome und seine beiden Freunde, die er unsterblich gemacht hatte (ganz zu schweigen von dem Hunde), auf ihrem historischen Ausflug auf der Themse. Sie ahnten nichts davon, daß sie hundertfünfzig Jahre später weltberühmt sein würden, daß ihre Abenteuer mit dem Käse, dem Dampfer und dem Schwan von unzähligen Generationen würden gelesen werden.
    »Gib auf deine Nase acht!« sagte Terence, und ich erwiderte: »Genau. Diese Stelle liebe ich besonders, wo Jerome durch die Schleuse von Hampton Court fährt und jemand ruft: ›Gib auf deine Nase acht!‹ und er denkt, seine Nase sei gemeint, aber der andere meint die Nase des Bootes, die sich gerade in der Schleuse verklemmt

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