Die Farben der Zeit
»Ich hätte darauf bestehen sollen, Professor Peddick just in dem Moment, als wir ihn trafen, nach Hause zu bringen.«
»Dazu war keine Zeit«, sagte ich. »Außerdem hast du selbst gesagt, er sei nicht zu bremsen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt habe.«
Terence nickte düster. »Er ist eine unaufhaltsame Macht. Wie Wilhelm der Eroberer. Die Geschichte besteht aus Persönlichkeiten.« Er seufzte. »Bis wir in Muchings End sind, wird sie bereits verlobt sein.«
»Verlobt? Mit wem?« fragte ich in der Hoffnung, sie habe Terence gegenüber weitere Verehrer erwähnt, und einer von ihnen sei Mr. C.
»Keine Ahnung, mit wem«, entgegnete Terence. »Ein Mädchen wie Tossie… äh… Miss Mering, hat an jedem Finger zehn Verehrer. Wo steckt er? Auf diese Weise kommen wir unser Lebtag nicht nach Muchings End.«
»Aber ja doch«, sagte ich. »Vergiß nicht, das ist Schicksal. Wie bei Romeo und Julia oder Abelard und Heloise.«
»Schicksal«, sagte Terence. »Doch welch ein grausames Schicksal, das mich von ihr fernhält und sei’s nur für einen einzigen Tag!« Er wandte sich dem Fluß zu, um verträumten Auges darauf zu starren, und ich entwischte mit der Reisetasche.
Cyril trottete hinter mir her. »Du bleibst hier«, sagte ich streng, worauf wir uns zu dritt auf den Weg ins Dörfchen machten.
Zwar hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo das Telegrafenbüro sein mochte oder wie eines aussah, aber im Ort gab es nur zwei Läden, eine Gemischtwarenhandlung und ein Geschäft, in dessen Schaufenster Angelausrüstungen und Blumenvasen lagen. Dort probierte ich es zuerst. »Wo kann ich ein Telegramm aufgeben?« fragte ich eine alte Frau, die eine Morgenhaube trug. Sie ähnelte aufs Haar genau dem Schaf aus Alice hinter den Spiegeln.
»Unterwegs auf dem Fluß, Sir?« fragte sie. »Ich habe ein paar wunderschöne Wandteller mit der Aussicht von Iffley und der Aufschrift ›Zur Erinnerung an glückliche Stunden auf der Themse‹. Fahren Sie flußaufwärts oder hinunter?«
Weder noch, dachte ich. »Hinunter. Wo ist das Telegrafenbüro?«
»Hinunter«, sagte sie erfreut. »Dann waren Sie ja bereits in Iffley. Ist das nicht hübsch?« Sie reichte mir ein gelbes Satinkissen mit Fransen, auf das die Mühle und die Worte »Andenken an Iffley« gestickt waren.
Ich gab es ihr zurück. »Sehr schön. Wo kann ich ein Telegramm aufgeben?«
»Bei der Post. Obwohl ich immer finde, es ist freundlicher, einen Brief zu schicken, meinen Sie nicht auch?« Blitzschnell zauberte sie Briefpapier hervor. Oben auf jedem Bogen stand »Grüße aus Abingdon«. »Ein halber Penny der Bogen, ein Penny der Umschlag.«
»Nein, vielen Dank. Wo sagten Sie, ist die Post?«
»Nur die Straße hinunter. Gegenüber dem Klostertor. Haben Sie es schon gesehen? Wir haben hier eine wunderschöne Miniatur davon. Oder gefallen Ihnen unsere Porzellanhunde besser? Handbemalt. Oder diese hübschen Federhalterwischer?«
Es endete damit, daß ich eine Bulldogge aus Porzellan erstand, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit Cyril oder irgendeiner anderen Hunderasse hatte, nur um aus dem Laden wieder fortzukommen und das Tor und die Post zu suchen.
Professor Peddick war nicht in der Post, und die alte Frau mit der Morgenhaube, die hinterm Schalter saß, wußte auch nicht, ob er da gewesen war. »Mein Mann ist gerade zum Mittagessen nach Haus gegangen. Er kommt in einer Stunde wieder. Unterwegs auf dem Fluß, Sir?« Sie versuchte mir eine Vase mit dem Bild von Iffley darauf zu verkaufen.
Er war auch nicht in dem Gemischtwarengeschäft gewesen. Ich kaufte einen Zahnbecher, auf dem »Herzliche Urlaubsgrüße von der Themse« stand. »Haben Sie Lachs?« fragte ich.
»Natürlich«, sagte die Besitzerin, eine weitere alte Frau mit Morgenhaube, und stellte eine Dose auf die Ladentheke.
»Ich meine frischen Lachs«, sagte ich.
»Den können Sie selbst fangen«, erwiderte sie. »Hier in Abingdon kann man den besten Lachs der Themse fischen«, und versuchte, mir wasserdichte Anglerstiefel zu verkaufen.
Als ich aus dem Laden kam, sagte ich zu Cyril, der gehorsam vor jeder Ladentür gewartet hatte: »Wohin jetzt?«
Abingdon war um ein mittelalterliches Kloster herum erbaut worden. Die Ruinen mit dem Kornspeicher und dem Gehöft waren noch erhalten, und sie schienen der wahrscheinlichste Platz, zu dem Professor Peddick gegangen sein konnte, aber er war nicht dort. Und auch nicht in den Kreuzgängen.
Es war auch sonst niemand dort. Ich kniete mich an die Wand des
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