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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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gibt es doch keine Schwäne, oder?« fragte ich mit einem aufmerksamen Blick auf Cyril, der erwacht war und sich nervös umschaute.
    »Kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte Terence. »Im George und der Drache gibt es ja auch keinen Drachen.«
    Wir ruderten weiter. Der Himmel wurde blau wie mein Hutband, dann fahlviolett, ein paar Sterne erschienen. Die Frösche und Grillen nahmen ihr Konzert auf, und aus der Reisetasche verstärkte sich das Miauen.
    Ich ruderte heftig, mit viel Wassergespritze, und fragte Professor Peddick, worin sich seine und Professor Overforces Theorie denn nun genau unterschieden. Unterdessen erreichten wir die Schleuse bei Cleve, wo ich ans Ufer sprang, der Katze heimlich etwas Milch gab und die Tasche dann oben auf den Gepäckstapel im Bug setzte, so weit entfernt von Professor Peddick und Terence wie möglich.
    »Die Handlung des einzelnen treibt die Geschichte voran«, erklärte Professor Peddick. »Nicht die blinden, unpersönlichen Zufälle, von denen Overforce spricht. Carlyle schrieb, daß die Geschichte der Welt nichts anderes sei als die Biographie großer Männer, und das stimmt auch. Der Genius von Copernicus, die Ambitionen von Cincinnatus, der Glaube des Franz von Assisi -Persönlichkeiten sind es, die das Bild der Geschichte formen.«
    Als wir Streatley erreichten, war es bereits Nacht, und die Häuser waren hell erleuchtet.
    »Zumindest wartet ein weiches Bett, eine warme Mahlzeit und ein ausgiebiger Nachtschlaf auf uns«, sagte ich, als wir den Kai sahen, doch Terence ruderte daran vorbei.
    »Wo willst du hin?« fragte ich.
    »Nach Muchings End«, erwiderte er, ohne einen Moment beim Rudern nachzulassen.
    »Aber du hast doch selbst gesagt, es sei zu spät für Besuche.« Ich schaute sehnsüchtig zum Kai zurück.
    »Weiß ich«, sagte er. »Ich will nur einen Blick darauf werfen, wo sie lebt. Ich werde sowieso nicht schlafen können, so nahe bei ihr, bis ich sie gesehen habe.«
    »Nachts ist es auf dem Fluß gefährlich«, wandte ich ein. »Es gibt Untiefen, Wirbel und alles mögliche.«
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte Terence, energisch weiterrudernd. »Sie sagte, es läge genau hinter der dritten Insel.«
    »Wir sehen doch in der Dunkelheit überhaupt nichts. Wir werden uns verirren, über ein Wehr fahren und ertrinken.«
    »Da sind wir schon«, sagte Terence und deutete aufs Ufer. »Sie sagte, ich könnte es am Gartenpavillon erkennen.«
    Der weiße Gartenpavillon schimmerte schwach im Sternenlicht, und dahinter, jenseits einer sanft gewellten Rasenfläche, lag das Haus. Es war immens groß und bis aufs I-Tüpfelchen victorianisch, mit Türmen, Giebeln und sämtlichem neugotischen Pfefferkuchenkitsch. Es sah aus wie eine kleinere Ausgabe der Victoria Station.
    Die Fenster waren dunkel. Gut, dachte ich. Wahrscheinlich sind sie bereits nach Hampton Court gefahren, um Catherine Howards Geist zu wecken oder nach Coventry. Es wird ein Leichtes für mich werden, die Katze zurückzubringen.
    »Es ist niemand zu Hause«, sagte ich. »Am besten ist, wir rudern nach Streatley zurück. Im Schwan werden keine Zimmer mehr frei sein.«
    »Nein, warte.« Terence schaute zu dem Haus hinüber. »Laß mich noch einen Augenblick auf den geweihten Boden schauen, über den sie wandelt, auf das geheiligte Gemach, in dem sie schläft.«
    »Scheint, als hätten sie sich schon zur Nachtruhe begeben«, sagte der Professor.
    »Vielleicht haben sie nur die Vorhänge zugezogen«, entgegnete Terence. »Seid mal still.«
    Professor Peddicks Idee schien angesichts des linden Abends unwahrscheinlich, aber wir lauschten gehorsam. Vom Ufer her drang kein Laut zu uns. Man hörte nur das leise Schwappen des Wassers, den Wind, der leicht durchs Schilf strich und das verhaltene Quaken der Frösche. Und ein Miauen vom Bug her.
    »Da«, sagte Terence. »Habt ihr das gehört?«
    »Was?« fragte Professor Peddick.
    »Stimmen.« Terence lehnte sich über den Schandeckel.
    »Grillen«, sagte ich und schob mich zum Bug hin.
    Die Katze miaute wieder. »Da!« sagte Terence. »Hört ihr’s? Da ruft uns jemand.«
    Cyril schnüffelte.
    »Es ist ein Vogel.« Ich zeigte auf einen Baum neben dem Pavillon. »Dort in der Weide. Eine Nachtigall.«
    »Hört sich nicht an wie eine Nachtigall«, sagte Terence. »Im Sommer singen Nachtigallen aus ›reinster Kehle, lassen ihre Seele in inbrunstsel’gem Traum verglühn‹. [49] Das hört sich nicht so an. Horcht mal…«
    Vom Bug her kam ein schnüffelndes Geräusch. Ich fuhr

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