Die Farben des Chaos
folgte Soaris und setzte sich auf einen mit Samt bezogenen Lehnstuhl. An der Wand gegenüber hing das silbern gerahmte Bild, das er schon einmal betrachtet hatte. Jetzt fand er Zeit, Leyladins Mutter näher anzusehen. Das Lächeln war wärmer, als Cerryl es in Erinnerung hatte, und das blonde Haar war länger und heller als das leicht rötlich schimmernde Haar der Tochter. Die Goldfäden in der grünen Weste waren vom Maler lebensecht wiedergegeben, an einer Seitentasche war sogar ein loser Faden zu sehen. Die blauen Augen der Frau blickten so vernünftig und klug wie die der Tochter, wenn auch nicht so humorvoll.
Hatte Leyladins Mutter ein schweres Leben gehabt?
Hatte sie es schwerer gehabt als die Tochter?, überlegte Cerryl, während er das Bild betrachtete. Nach einer Weile wandte er den Blick ab und bewunderte die eleganten Möbel – das Sofa, den zweiten Lehnstuhl, die passenden Schränkchen aus poliertem dunklem Holz, der niedrige, mit Einlegearbeiten verzierte Tisch vor ihm. Alles war makellos, als würde der Raum nie benutzt werden.
Es duftete nach Leyladin, ein leichter Blumenduft mit einem schwereren Unterton.
Nach einer Weile, als er Lederschuhe auf dem Marmorboden hörte, stand er auf und drehte sich um. »Du siehst wunderschön aus.«
»Ich sehe müde aus.« Ein flüchtiges, schiefes Lächeln spielte um ihre Lippen und vertrieb einen Augenblick die erschöpfte Dunkelheit aus ihren Augen.
»Du siehst trotzdem wunderschön aus.«
»Du bist zu freundlich.« Die Heilerin trug ein grünes Hemd und eine passende Hose aus Seide, darüber eine ärmellose Weste aus purpurner Wolle. Sie setzte sich auf das grüne Samtsofa und klopfte neben sich aufs Polster. »Setz dich doch bitte zu mir.«
»Mach kein so ernstes Gesicht«, ermahnte er sie, während er sich neben ihr niederließ.
»Ich bin ernst. Ich kann doch nicht die ganze Zeit lachen.«
Cerryl wartete.
»Ich weiß, wie wichtig ich dir bin, Cerryl, und du bist mir auch wichtig. Wir sehen uns regelmäßig, aber wir reden kaum über uns. Anderen erscheinen wir wie ein Liebespaar, aber wir sprechen nicht wie Liebende miteinander.«
»Ich dachte, du willst es nicht«, gab Cerryl nachdenklich zurück. »Ich dachte, weil ich ein Weißer bin und du eine Schwarze, müssen wir sehr vorsichtig sein. Ich wollte dich nicht verletzen.«
Leyladins Augen schimmerten, als sei sie den Tränen nahe. Sie presste die Lippen zusammen und drehte den Kopf, um seinen Blick zu erwidern.
Cerryl sah ihr in die Augen und hatte wieder einmal das Gefühl, in der grünen Tiefe zu versinken.
»Cerryl.«
Sie sprach leise, aber er wäre beinahe zusammengezuckt. »Ja?« Er riss sich von ihr los. »Entschuldige. Manchmal habe ich das Gefühl, in deinen Augen versinken zu können.«
»Das klingt, als wolltest du dich als Dichter versuchen. Oder als wärst du ein Lanzenreiter, der gerade eine neue Liebste gefunden hat.« Die Worte wurden durch ein Lächeln und einen belustigten Unterton ein wenig abgeschwächt.
Doch Cerryl zuckte jetzt tatsächlich zusammen. »Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich fühle mich eben so, aber ich wollte nicht … du hast doch … wenn du das tust … aber ich …« Er seufzte und zuckte hilflos die Achseln. »Ich kann nicht erklären, was ich meine.«
»Versuch’s noch einmal«, schlug sie sanft vor. »Sag nur einfach die Worte. Versuche nicht, mich zu beeindrucken oder mich zu überzeugen. Sage einfach nur, was du meinst.«
Er schluckte. »Ich habe es doch getan. Ich fühle mich, als könne ich mich in deinen Augen verlieren. Ich habe es nicht gesagt, um bei dir irgendwie Eindruck zu schinden. Ich fühle mich einfach so. Ich weiß nicht, ob ich ein Dichter bin. Manchmal habe ich das Gefühl, jedes Wort genau überprüfen zu müssen, damit ich nicht wie ein Bergmann oder Handlanger rede.«
»Das macht es so schwer.« Sie schlug die Augen nieder. »Wenn du nur nicht ausgerechnet ein Magier wärst und ich eine Heilerin.«
»Wir sind, was wir sind. Spielt das eine Rolle?«
Cerryl nahm ihre Hand. »Ich kann deine Hand halten. Spürst du Chaos? Brennt es?«
»Jetzt nicht«, erwiderte sie leise. »Aber was ist in der nächsten Jahreszeit oder nächstes Jahr?«
»Ich mache alles, was Myral mich gelehrt hat, und du kannst ihn berühren und ihn heilen.«
»Myral ist nicht mein Gemahl.«
»Weiße Magier können nicht heiraten«, erwiderte er. »Das weißt du doch.«
»Aber Schwarze Heiler können es«, gab sie zurück.
Cerryl schluckte.
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