Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Farben des Chaos

Titel: Die Farben des Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
Vom Netzwerk:
nichts weiter als Mutmaßungen. Er hatte rasch gelernt, dass Geduld für den, der keine Macht besaß, die wichtigste Tugend war, so sehr es ihm auch missfiel, einfach nur abzuwarten. Doch der Zwischenfall mit dem Eisenpfeil hatte ihm eine eindringliche Lektion erteilt.
    Das Gleiche galt auch für Leyladin. Sie sahen sich jetzt öfter, aber zwischen ihnen war ein Gefühl von Ferne entstanden, eine Mauer aus unausgesprochenen Vorbehalten. Hinter alledem spürte Cerryl, dass Kräfte sich aufbauten, die er nicht sehen, aber überdeutlich fühlen konnte.
    Er betrachtete noch einmal den Bericht, der vor ihm lag.
     
    … Guarl, der als Arbeiter beim Gerber Huyter beschäftigt ist, hat beim Bäcker Sidor fünf Laibe Brot gestohlen. Guarl wurde von Duarrls Streife erwischt. Guarl behauptete, er brauche das Brot für seine Frau und die Kinder … für vier Achttage zur Reinigungskolonne eingeteilt …
     
    Cerryl schüttelte den Kopf. In diesem Fall hatte er die Regeln sehr großzügig ausgelegt, aber die Wahrlesung hatte ergeben, dass Guarl ehrlich, aber verzweifelt war. Später war Cerryl zum Gerber gegangen und hatte sich nach Guarl erkundigt. Der Gerber hatte erklärt, dass er seinen Arbeitern nur den halben Lohn zahlen konnte, weil er selbst kein Geld mehr hatte. Die Stiefelmacher bezogen ihr Leder von einem Kommissionär namens Kosior, der angeblich mit Fellen aus Hydlen handelte. Dort habe es eine schlechte Maisernte gegeben und wegen des viel zu spät einsetzenden Regens sei das Weideland in der spätsommerlichen Dürre ausgetrocknet. Da dies schon das zweite Jahr hintereinander geschah, hatten sich die Bauern in Hydlen entschlossen, ihr Vieh lieber als Schlachtvieh zu verkaufen, statt es verhungern zu lassen. Das Fleisch und die Felle verkauften sie an jeden, der es haben wollte.
    »Also dann …«, murmelte Cerryl bei sich. »Da kommt billiges Leder nach Fairhaven und die Gerber können ihre Handlanger nicht mehr bezahlen. Die Schwarzen bringen mit ihren Schiffen billige Waren nach Spidlar und kaufen mit dem Erlös das knappe Korn.« Er schüttelte den Kopf. »Und ich muss im Südostviertel für Ruhe und Ordnung sorgen.« Er faltete den Bericht zusammen.
    Er überlegte noch einen Augenblick, tupfte sich die Stirn ab und rief den Botenjungen herein. »Orial?«
    Der rot gekleidete Laufbursche erschien sofort.
    »Hier ist der Tagesbericht für den Kommandanten der Stadtwache.«
    »Ich bin schon unterwegs, Ser.« Mit einem Lächeln verneigte sich der rothaarige Junge und eilte hinaus.
    Cerryl stand auf. Gyskas war noch nicht da. Der alte Magier hatte es nicht mehr eilig, Cerryl abzulösen, was indirekt eine Anerkennung für Cerryls Fähigkeiten war und ihn als Gleichgestellten auszeichnete, wie Cerryl glaubte.
    Er ging vor dem Schreibtisch auf und ab. Myral hatte ihn genau wie Leyladin zur Vorsicht ermahnt. Da ihm nichts anderes übrig blieb und da er keine bessere Idee hatte, musste Cerryl sich in Geduld üben.
    Jeslek war nach wie vor Erzmagier. Er hatte Eliasar nach Fenard begleitet und war vom Präfekten Syrma mit einer Kiste voller Goldstücke zurückgekehrt. Der größte Teil der »Ehrengarde« aus Weißen Lanzenreitern war ebenfalls zurückgekehrt, aber wie Jeslek auf der Sitzung der Gilde berichtet hatte, floss nach wie vor das Gold aus Fenard und Certis. Aus Spidlar kam nichts außer billigen Waren, die auf Nebenstraßen geschmuggelt wurden, gefolgt von Protesten, dass der Präfekt keine Bewaffneten übrig habe, um in ganz Gallos jede kleine Straße zu überwachen. Weniger laute Einwände kamen vom Vicomte von Certis.
    Cerryl blieb stehen, als er das Chaos spürte, das von Gyskas ausstrahlte.
    »Gibt’s was Neues?«, fragte der ältere Magier mit dem schütteren Haar, während er sich den Schweiß von der hohen Stirn tupfte.
    »Ich habe einen Arbeiter aus einer Gerberei zum Reinigungsdienst geschickt.«
    »Hat er seine Frau geschlagen?«
    »Er hat etwas Brot für seine Familie gestohlen, weil er nicht bezahlt wurde.«
    Gyskas runzelte die Stirn. »Da hätte er eigentlich zum Straßenbau kommen müssen.«
    »Ich weiß, aber ich habe ihn wahrgelesen. Kind und Mutter sind krank, sie haben nicht genug Geld. Der Gerber konnte ihn nicht bezahlen, weil billiges Leder von Hydlen hereinkommt.« Cerryl zuckte mit den Achseln. »Ich konnte ihn nicht einfach davonkommen lassen, aber …«
    »Cerryl, seid nur vorsichtig, dass Ihr es Euch nicht zur Gewohnheit macht, die Regeln zu beugen. Ganz besonders jetzt nicht. So etwas

Weitere Kostenlose Bücher