Die Farben des Chaos
Jahre lang. Eines Tages … eines Tages wird ein starker Weißer Magier fähig sein, viel, viel länger zu leben.«
Die kalte Gewissheit, die aus Anyas Worten sprach, beunruhigte Cerryl sehr. »Ich denke, das könnte möglich sein. Ich vermute, einem starken Schwarzen Heiler könnte das Gleiche gelingen.«
Ein seltsamer Ausdruck, den Cerryl nicht einzuordnen wusste, zog über Anyas Gesicht. Es ging so schnell, dass Cerryl es beinahe übersehen hätte.
»Das kann durchaus sein, aber Ihr seid ein Weißer und solltet Eurem eigenen Weg folgen. Ganz besonders jetzt.« Sie lächelte zuckersüß. »Jeslek erwartet von Euch, dass Ihr der Gilde Ehre macht.«
Ehre? Es mochte um Macht gehen, aber sicher nicht um die Ehre. Andererseits, überlegte er sich, konnte Fairhaven durchaus einen Machtzuwachs vertragen. Die Gilde …
»Was denkt Ihr?«, fragte Anya.
»Ich dachte an die Macht«, gab er wahrheitsgemäß zurück. »Ich dachte, dass die Gilde wohl eher Macht als Ehre braucht. Wenn wir stärker wären, brauchten wir uns keine Sorgen mehr darüber zu machen, dass die Gesandten der Gilde getötet oder aus anderen Ländern gescheucht werden. Wir könnten Handelsabkommen schließen, die für ganz Candar vorteilhaft wären, und brauchten nicht mehr zu streiten und Lanzenreiter und Magier kreuz und quer durch Candar zu schicken.«
Anya lachte. »Ihr redet schon wie Jeslek. Vielleicht hat er eine bessere Wahl getroffen, als ihm selbst bewusst ist.«
»Es ist doch wahr«, sagte Cerryl störrisch. Gleichzeitig fragte er sich, warum er es für nötig hielt, seine Ideen gegenüber Anya zu verteidigen.
»Oh … Cerryl, Ihr und Jeslek werdet kämpfen und träumen und nichts wird sich verändern. Wir können – sei es zu unserer eigenen Beruhigung oder um einen persönlichen Triumph zu feiern – nur verändern, was sich in unserer unmittelbaren Umgebung befindet. Aber die Welt wird bleiben, wie sie ist.«
War da nicht ein seltsamer Unterton in ihren sarkastischen Worten? Neid vielleicht? Mitleid? Cerryl konnte es nicht einordnen.
Er rutschte unbehaglich im Sattel hin und her. Daran, wie wund geritten er am Ende des Tages sein würde, wollte er lieber gar nicht erst denken.
LXI
A m nächsten Tag taten Cerryl die Beine und vor allem die Oberschenkel schon am Spätvormittag weh. Er war vor seiner Zeit als Magier-Anwärter überhaupt nicht geritten, und abgesehen von einem einzigen Ausflug nach Fenard, hatte er noch nie längere Zeit auf einem Pferderücken verbracht.
Fairhaven war schon am ersten Tag zwischen den herbstlich goldenen Hügeln hinter ihnen verschwunden. Seitdem waren sie durch niedrige Erhebungen und sanfte Täler geritten, jedes brauner als das Tal davor, als hätten hier die Dürre und der nahende Winter einen besonders harten Tribut gefordert. Die schweren Regenfälle, die vielerorts, vor allem in Hydlen, die Ernte weggespült hatten, waren längst vorbei und viel zu kurz gewesen, um dem Land noch zu helfen. Für die nächste Wachstumsphase waren sie zu früh gekommen und inzwischen war das Land wieder trocken.
Cerryl konnte hören, wie Hauptmann Reaz mit Fydel sprach.
»… war früher grüner hier, viel grüner …«
»… von Dämonen verdammten Schwarzen spielen schon wieder mit dem Wetter herum.«
Cerryl hatte seine Zweifel. Die Ursache waren wohl eher die Berge, die Jeslek hatte wachsen lassen. Aber es wäre natürlich nicht sehr klug, so etwas auszusprechen.
»… in alles einmischen … sollen doch auf ihrer verdammten Insel bleiben.«
Cerryl warf einen Blick zu Anya, die schweigend neben ihm ritt. Das rote Haar, das ihr bis zum Kinn reichte, war von der leichten, warmen Brise, die jetzt von Süden her wehte, ein wenig zerzaust. Er überlegte kurz und räusperte sich schließlich. »Jeslek hat Euch vermutlich gesagt, dass ich für ihn in Hydolar eine Aufgabe zu erledigen habe.«
»Das hat er.« Anya nickte knapp, als sei sie in Gedanken woanders. Dann drehte sie sich zu ihm um und fasste den jüngeren Magier genau ins Auge. »Er sagte auch, Ihr würdet mich unterstützen.«
»Das hat er mir aufgetragen«, stimmte Cerryl zu. »Ich soll Euch helfen, solange es mich nicht bei meiner anderen Aufgabe behindert.«
»So hat er es ausgedrückt.«
»Ich würde Euch jetzt gern um Hilfe bitten, Anya«, sagte Cerryl. Mehr aus einem Gefühl heraus als aufgrund bewusster Überlegung bemühte er sich, möglichst sachlich zu sprechen.
»Worum geht es?«
»Ihr sollt ein Trugbild von mir aufbauen …
Weitere Kostenlose Bücher