Die Farben des Chaos
wenn der richtige Augenblick gekommen ist. Mehr nicht.«
»Ich soll ein Abbild von Euch entstehen lassen? Das könnte sogar Fydel tun.« Anya lachte. »Ich werde Euch zu gegebener Zeit um das Gleiche bitten. Um einen Gefallen, meine ich. Ihr sollt mir helfen, den Boden ein wenig zu verändern. Weit weniger als in Gallos.«
Cerryl nickte.
»Habt Ihr inzwischen über Eure Zukunft nachgedacht?« Anya lächelte belustigt.
»Man hat mir geraten, mich vor allem auf die Gegenwart zu konzentrieren. Mehrmals sogar«, fügte er hinzu. »Und wenn ich das vergesse, habe ich vielleicht überhaupt keine Zukunft mehr.«
Sie lachte leise und amüsiert. »Es ist schon seltsam, wie sehr ein paar Jahreszeiten einen Mann verändern können.«
»Man lernt dazu«, sagte Cerryl und blockte seine Gereiztheit ab, als Anya versuchte, ihn wahrzulesen.
»Das spielt leider meist keine Rolle.«
»Warum denn nicht?«, fragte Cerryl, wider Willen neugierig geworden. Außerdem ist es ein langer Ritt.
»Das Lernen beeinflusst nur das, was Ihr tut. Wenn Ihr andere unterrichtet, dann verändert Ihr sie dabei. Das hat jedenfalls Myral geglaubt.« Anya schien wieder weit entfernt, die Augen blickten ins Leere. »Aber ich habe festgestellt, dass das nicht stimmt. Die Menschen lernen nur, was sie lernen wollen oder was sie annehmen können. Daher ist das Meiste, was man lernt, nutzlos. Ihr verschwendet Euer Leben, wenn Ihr versucht, anderen zu helfen. Sie nehmen Euch alles und wissen es doch nicht zu schätzen. Sie weisen das Wissen zurück, das Ihr mühsam erworben habt, und trampeln auf Euch herum oder töten Euch sogar für ein Silberstück oder noch weniger.« Unvermittelt war das strahlende Lächeln wieder da. »Passt nur genau auf, Cerryl. Ihr werdet schon sehen, was ich meine, wenn Ihr es nur wagt, genau hinzuschauen.« Sie blickte zur Straße vor ihnen, als liege dort der Beweis für die Wahrheit ihrer Worte.
Obwohl die Sonne schien und kein Wind wehte und obwohl zehn Züge Lanzenreiter sie begleiteten, wurde es Cerryl plötzlich kalt und er fühlte sich sehr allein.
LXII
F ydel und Hauptmann Reaz hatten ihre Pferde auf der letzten niedrigen Erhebung gezügelt. Dahinter, im Süden, fiel die Straße allmählich bis zu den roten Mauern von Hydolar ab. An drei Seiten war die Stadt von den Mauern umgeben, an der vierten lag der Fluss Ohyde. Neben der Straße erstreckten sich braune Äcker bis zu den Stadtmauern. So braun waren die Felder, dass Cerryl nicht erkennen konnte, ob es abgeerntete Getreidefelder oder Wiesen waren, die von der außergewöhnlichen Hitze im Spätsommer und Herbst verbrannt waren. Eine Hand voll Katen mit Mauern aus Lehmziegeln und strohgedeckten Dächern lagen zwischen den Äckern in kleinen Gruppen von Bäumen, deren Blätter grau verfärbt oder verwelkt waren.
Cerryl betrachtete die hohen Mauern der Stadt. Im Südwesten, hinter den Mauern, glitzerte der Ohyde in der Spätnachmittagssonne des Wintertages. Jenseits des Flusses glaubte Cerryl Bäume zu sehen, vielleicht sogar ein Wäldchen auf einem Hügel, aber er war nicht sicher.
»Sie haben die Tore geschlossen«, bemerkte der Hauptmann.
»Das ist nicht gerade ein warmes Willkommen. Glaubt Ihr, sie werden uns angreifen, wenn wir uns der Stadt weiter nähern?«
Reaz zuckte mit den Achseln. »Das kann man nicht wissen.«
Fydel drehte sich im Sattel um und wandte sich an Anya. »Könnt Ihr und Cerryl Feuerkugeln gegen die Tore schleudern, wenn sie sie öffnen, um uns anzugreifen?«
»Nicht auf diese Entfernung. Es ist mehr als eine Meile entfernt.«
Fydel sah Cerryl fragend an.
»Anya hat Recht. Vielleicht können wir ein paar Feuerkugeln so weit schleudern, aber sie dürften kaum treffen.«
»Fydel«, meinte Anya leise, »ich glaube nicht, dass irgendein Fürst eine Streitmacht Weißer Lanzenkämpfer angreift, wenn er es nicht unbedingt muss. Warum reiten wir nicht einfach näher heran und bitten sie, uns die Heilerin auszuliefern? Cerryl und ich werden bereit sein, das Chaos-Feuer zu schleudern, wenn Ihr es für nötig haltet.« Sie lächelte böse.
»Wir reiten weiter!«, rief Reaz. »Macht euch bereit, die Lanzen zu heben.«
»Macht euch bereit, die Lanzen zu heben … die Lanzen heben«, hallten hinter Cerryl die Befehle durch die Reihen der Lanzenreiter.
Reaz ließ die Hand sinken und der Marschzug setzte sich wieder in Bewegung.
Anya lenkte ihr Pferd etwas näher an Cerryl heran. »Haltet Euch bereit, mich zu unterstützen.«
Cerryl hob
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