Die Farben des Chaos
dass dieser Bettler in seinen ersten drei Achttagen als Magier der Stadtwache im südöstlichen Bezirk erst der dritte Unruhestifter war, den er mit dem Chaos-Feuer in Asche hatte verwandeln müssen. Besonders bei Bettlern und alten Frauen fiel es ihm schwer, das Chaos-Feuer einzusetzen. Liegt es daran, dass du sie im Grunde nicht verstehst? Warum griffen die Leute einen Magier an, da sie doch genau wussten, dass ein solcher Angriff ihren Tod bedeutete? Und warum stahlen die Menschen, obwohl die meisten erwischt wurden und den Rest ihres Lebens beim Straßenbau verbringen mussten? Der Bettler hätte beim Straßenbau besseres Essen bekommen als beim Betteln – aber trotzdem war er bereit zu sterben. Oder konnte er es nicht ertragen, sich den Befehlen eines anderen zu beugen? Aber jeder, auch der Erzmagier, muss sich an die Regeln halten. Ohne die Regeln wäre das Leben ein Elend.
Cerryl schüttelte den Kopf. Als Anwärter und später als Magier hatte er ein paar Dutzend Menschen getötet. Die guten Gründe, die er gehabt haben mochte, machten es nicht leichter, nicht sehr jedenfalls, aber die Alternative wäre noch schlimmer gewesen. Trotzdem …
Einer pro Achttag? Mehr als vierzig in einem Jahr? Er schüttelte den Kopf und hoffte, er könnte die Zahl etwas drücken, wenn er sich häufig im Bezirk blicken ließ und entschlossen auftrat. Nach allem, was er gesehen hatte, blieben ihm nicht viele Möglichkeiten.
Er überlegte und schrieb weiter. Das erste Glockensignal des Nachmittags war ertönt, es würde nicht mehr lange dauern, bis Gyskas kam.
Cerryl konnte das Chaos, das von Gyskas ausstrahlte, schon eine ganze Weile spüren, bevor der ältere Magier mit dem schütteren grauen Haar die Wachstube betrat. Pünktlich zum zweiten Glockenschlag des Nachmittags, als Cerryl gerade seinen Tagesbericht zusammenfaltete und versiegelte, traf die Ablösung ein.
Der Magier, der den Nachmittagsdienst übernehmen sollte, nickte und sah sich mit tief liegenden grünen Augen in der Wachstube um. »Dann war es heute kein langer Bericht?« Er schob sich eine graue Haarsträhne aus der hohen Stirn.
»Nein. Ein Bettler hat Jiark mit dem Messer angegriffen.« Cerryl zuckte mit den Achseln. »Wie viele müsst Ihr eigentlich pro Achttag einäschern?«
»In meiner Schicht? Zwei oder drei. Die meisten sind Fremde. Unsere Leute wissen ja genau, was aus ihnen wird, wenn sie einen Stadtwächter angreifen.« Er holte tief Luft. »Manchmal setzt es einem zu, aber wir können schließlich keine Regeln einführen, die für die Einheimischen strenger sind als für Fremde.«
Cerryl kam um den Schreibtisch herum und rief: »Wielt!« Bevor der Junge mit dem hellblonden Haar hereinkam, fiel ihm noch etwas ein. »Wenn man sich überlegt«, fuhr er fort, »dass wir vier Bezirke mit jeweils zwei Schichten haben …«
»Glücklicherweise ist es nicht ganz so schlimm. Hier bei uns gibt es mehr Verstöße als in den anderen drei Bezirken zusammen. Wir haben eben Glück.«
Oder gibt es hier mehr Verstöße von der Art, auf die wir genauer Acht geben?, überlegte Cerryl.
Der Bote tauchte in der Tür der Wachstube auf.
»Bring doch bitte dies hier zu Magier Isork oder Huroan in der Hauptwache.« Cerryl händigte dem stämmigen, rot gekleideten Boten den gefalteten und versiegelten Bericht aus.
»Ja, Ser.« Wielt wandte sich an Gyskas. »Voar wartet draußen, Ser.«
»Danke.« Gyskas sah Cerryl an und hustete. »Morgen ist Euer freier Tag?«
»Übermorgen. Ich glaube, Dujak …«
»Genau. Er übernimmt heuer hier und im Südwesten die meisten Ablösungen für die Frühschicht.« Gyskas blickte zum Stuhl.
»Oh, Verzeihung.« Cerryl machte ihm Platz. »Dann wünsche ich Euch noch einen angenehmen Nachmittag und Abend.«
»Danke für die Wünsche, aber angenehm ist es nie, Cerryl. Ihr werdet schon noch sehen …« Gyskas lächelte den jüngeren Magier schief an. »Ich würde sagen … ja, in einem Jahr oder so könnte es so weit sein. Genießt die Frühschicht, solange Ihr noch könnt.«
Cerryl nickte noch einmal, ehe er sich umdrehte und die Wachstube verließ. Vom schwarzhaarigen Voar, der neben dem Hocker der Boten wartete, verabschiedete Cerryl sich mit einem Nicken, dann ging er durch den Mannschaftsraum nach draußen.
Einige Stadtwächter, die jetzt ebenfalls frei hatten, folgten Cerryl hinaus. Unter dem dunkelgrauen Himmel war ein frischer Wind aufgekommen, die Luft roch feucht. Nach einem letzten Lächeln und Nicken wandte Cerryl sich
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