Die Farben des Chaos
auf der Hauptstraße nach Westen. Im Gehen vernahm er die gemurmelten Bemerkungen der Mannschaft.
»… nicht auf Isork gewartet und den Bettler gleich selbst eingeäschert …«
»… nicht wie Klyat im letzten Frühling …«
»… wette mit dir, dass er wieder durchs Revier marschiert …«
»… wenigstens musst du ihm nicht lange erklären, wo etwas passiert ist …«
Cerryl konnte sich gerade noch ein Nicken verkneifen, während die gedämpften Stimmen hinter ihm verklangen. Als er die Hauptstraße erreichte, blieb er einen Augenblick stehen und sah sich um.
Ein langer, mit Segeltuch abgedeckter Vierspänner fuhr holpernd nach Norden. Neben dem Fahrer saß ein Wächter mit einem Speer, zwei berittene Wächter folgten hinter dem Wagen. Alle vier trugen eine grüne Uniform, die Cerryl nickt kannte.
Er dehnte die Sinne aus. Soweit er es erkennen konnte, transportierte der Wagen Ballen mit gesäuberter, gekrempelter Wolle. Wolle? Um diese Jahreszeit noch? Oder kam sie aus Kyphros und war für Lydiar bestimmt? Er schüttelte den Kopf. Die Wolle musste aus Montgren stammen. Wurde sie so spät verschifft, weil die Verkäufer hofften, einen höheren Preis zu erzielen? Aber wozu die Wächter?
Nachdem der Wagen außer Sichtweite war, wandte er sich nach Süden zum Weg der Gerber. Er wanderte durch den leichten Nieselregen, der inzwischen eingesetzt hatte, und ignorierte die leichten Kopfschmerzen, die das Wetter ihm bescherte. Langsam ging Cerryl durch den Weg der Gerber und sah sich um.
Der Zwischenfall mit dem purpurnen Karren ging ihm nicht aus dem Sinn. Niemand hatte ihn im Lager der Stadtwache für sich beansprucht und niemand hatte einen Karren, einen Kutscher oder eine Ladung Druidenseide als vermisst gemeldet. Auch die Plaketten waren nicht gerade billig.
Drei Jugendliche lehnten auf der anderen Straßenseite; der Nordseite, an einer Mauer und beobachteten ihn. Cerryl betrachtete die drei. Sie waren nicht viel jünger als er. Der Größte trug eine verschlissene graue Weste über einem abgetragenen braunen Hemd und einer oft geflickten braunen Hose. Sein Lockenhaar war fettig und schmutzig. Der Kleinste trug schmutzig graue Sachen, die fleckig waren, als hätte er Spritzer einer ätzenden Flüssigkeit abbekommen. Der Dritte trug die Jacke eines Schafhirten.
Unvermittelt spuckte der Größte auf den Gehweg.
Cerryl hätte beinahe geseufzt. Doch er konzentrierte sich und schoss eine kleine Feuerkugel auf die Stelle ab, wo die Spucke gelandet war.
Als es blitzte, fuhren die drei Jungen unwillkürlich zusammen.
Cerryl lächelte strahlend.
Sie blieben wie angewurzelt stehen, als er auf der anderen Seite der Straße vorbeiging.
»… hasse sie …«
»… diese überheblichen Weißen …«
»… vorsichtig … manchmal ziemlich empfindlich …«
Cerryl hielt die Wahrnehmung auf sie gerichtet, bis er sich gut fünfzig Schritte entfernt hatte.
Dann betrat er Likkets Geschäft.
Der Apotheker schaute von seinem Arbeitstisch auf, wo er offenbar gemahlene Borke von verschiedenen Bäumen aufgehäuft hatte. »Ser?«
»Ich bin Cerryl, Likket. Bei manchen Apothekern weiß ich, was sie tun, aber welche Dinge könnt Ihr liefern?«
Likket sah Cerryl lange und nachdenklich an. Cerryl erwiderte den Blick, bis der ältere Mann die Augen niederschlug. »Ich bereite Heiltränke zum Lösen von Verstopfungen zu oder auch zur Bekämpfung von Durchfall, zum Lösen von Muskelkrämpfen oder zum Lindern von Schmerzen. Hier … hier habt Ihr beispielsweise Weidenrinde.«
Weidenrinde? Stand nicht etwas über Weidenrinde in den Büchern, die du für Tellis kopiert hast?
»Der Trank aus Weidenrinde ist sehr hilfreich, wenn man das Fieber senken will, das beim Bauchfluss entsteht, und bei Gliederreißen. Manchmal hilft sie auch bei Kopfschmerzen.«
»Also macht Ihr keine Farben für Wolle oder Baumwolle?«
Likket schüttelte den Kopf, als halte er die Frage für lächerlich.
»Nivor liefert die Grundstoffe für die Tinte der Schreiber.«
»Die meisten Färber wollen einem Apotheker ihr Wissen nicht anvertrauen, Ser Magier.«
»Was ist mit Druidenseide?«
»Die kann man nicht färben. Aber das wisst Ihr doch sicher schon?« Likket sah Cerryl misstrauisch an.
»Ich bin noch nicht lange bei der Stadtwache«, meinte Cerryl ein wenig verlegen. »Ich weiß etwas über die Arbeit der Schreiber und über Holz und ein paar andere Dinge, aber nicht über Stoffe und Farben und Tränke gegen Schmerzen. Gibt es noch stärkere
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