Die Farben des Chaos
Magier im Turm ihn riefen.
»Es dauert meist nicht so lange, mein Junge.« Gostars Blick fiel auf Cerryl. »Der Magier Cerryl hier war vor zwei Jahren noch ein Magierschüler.«
Der schwarzhaarige Junge aus der Krippe wich Cerryls Blicken aus.
»Das ist wahr«, bestätigte Cerryl. »Aber manchmal hat man es leichter, wenn es länger dauert.« Sein Freund Faltar hatte fast vier Jahre gebraucht, aber Faltar hatte auch nicht gegen Räuber in Fenard gekämpft und war nicht als Meuchelmörder in ein feindliches Land geschlichen … und er hatte sich nicht Tag für Tag mit Jeslek herumgeschlagen. Faltar hatte auch noch nie einen halben Zug Lanzenkämpfer töten müssen.
»So ist das, mein Junge. Es kommt eben immer darauf an, wie man es sieht«, meinte Gostar freundlich.
Der Bote starrte stumm auf die weißen Granitfliesen.
Als auf der Treppe des Turms Stiefeltritte zu hören waren, blickte Cerryl durch den Bogengang und lächelte erfreut, als er Leyladin die letzten Stufen aus der höheren Etage herunterkommen sah. Wie üblich trug sie ein grünes Hemd, eine Tunika und eine Hose in der gleichen Farbe und dazu dunkelgrüne Stiefel. Das blonde Haar, das eine Spur Rot zu enthalten schien, hatte sie unlängst kurz geschnitten; es reichte ihr nur noch bis zum Kinn.
»Wie geht es Myral?«, fragte Cerryl nicht ganz unbefangen.
»Heute geht es ihm besser.« Nach kurzem Schweigen lächelte Leyladin ihn an, zugleich schüchtern und freundlich. »Kannst du heute Abend zum Essen kommen?«
»Das würde ich gern.« Cerryl überlegte. »Kannst du auf mich warten? Ich bin sicher gleich wieder da. Ich muss zu Kinowin, wie schon mehrmals in der letzten Zeit Bericht über meinen Dienst am Tor erstatten. Es wird nicht lange dauern.«
Sie verzog den Mund zu einem schelmischen Grinsen. »So schnell wird Vater sicher nicht verhungern.«
»Dein Vater?« Cerryl wurde die Kehle eng.
»Ich habe so oft über dich gesprochen, dass er meint, er müsse dich endlich einmal kennen lernen.«
So ein Glück aber auch … Er war fast sicher, Gostar kichern zu hören.
»Ich warte hier bei Gostar.«
Cerryl nickte. »Ich hoffe, dass es nicht allzu lang dauert.« Er ging nach links, an den Wächtern und dem immer noch stummen jungen Boten vorbei.
»Magierin … ist es wahr, dass er ganz allein den Präfekten von Gallos getötet hat?«
»Es entspricht wohl der Wahrheit.« Cerryl konnte Leyladins Antwort noch hören.
»Er sieht aus, als … er scheint viel zu freundlich für so eine …«
»… ein so ruhiger Magier …«
Der äußere Anschein … war nicht genau dies sein Problem? Dass er aussah wie ein höflicher junger Schriftgelehrter und nicht wie ein Magier, der die Welt auf den Kopf stellen konnte? Angeblich war auch der Schwarze Magier Creslin von kleinem Wuchs gewesen. War das der Grund dafür, dass er so viele andere getötet hatte? Cerryl riss sich aus diesen unerfreulichen Gedanken und begab sich zur Kammer des Obermagiers.
Kinowin antwortete schon beim ersten Klopfen. »Augenblick bitte, einen kleinen Augenblick, Cerryl.«
»Ja, Ser.« Cerryl setzte sich vor der weißen Eichentür auf eine Bank. Viel gearbeitet hatte er nicht, aber es war ein langer, ein sehr langer Tag gewesen. Und morgen früh bei Sonnenaufgang wurden die Tore schon wieder für die ersten Wagen geöffnet. Die Augen fielen ihm zu …
»Cerryl?«
Er fuhr auf und nahm Haltung an. »Oh … es tut mir Leid.«
Kinowin lachte leise. »Schon gut. Die Arbeit am Tor ist ermüdender, als den meisten bewusst ist. Deshalb lassen wir sie auch Euch jüngere Magier verrichten. Ich würde wirklich nicht mit Euch tauschen wollen.«
Benommen folgte Cerryl seinem Vorgesetzten ins Zimmer. Als die schwere Tür geschlossen war, trat Kinowin ans Fenster und blickte zu den dunklen Wolken hinaus, die sich im Osten zusammenballten. Selbst die purpurnen Wandbehänge wirkten heute eher düster als farbenfroh.
Cerryl blieb am Tisch stehen, weil er nicht eingeladen worden war, sich zu setzen.
»Nun macht schon, setzt Euch.« Kinowin blieb am Fenster stehen. »Im Osten braut sich ein Unwetter zusammen.« Nach kurzem Schweigen drehte er sich um. »Wie ist. Euer Tag verlaufen?«
»Es war ruhig. Ich habe Bauernkarren und einen Steintransport gesehen, sonst aber kaum etwas anderes. In den Kutschen sitzen mehr Fahrgäste als üblich, die mir wie Kommissionäre vorkommen.«
»Das sollte Euch nicht überraschen.«
Cerryl war in der Tat nicht überrascht, aber er konnte den Grund nicht
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