Die Farben des Chaos
ihre kleinen Freunde in der Krippe. Er selbst hatte erst in der Lehre bei Dylert mit einer Gleichaltrigen sprechen können. Erhana war hochnäsig gewesen, aber sie hatte ihm geholfen, die Buchstaben zu lernen, und ohne diese Hilfe wäre er niemals Tellis’ Schüler geworden oder in die Gilde berufen worden. Faltar hatte sich mit Cerryl angefreundet und war sein erster echter Freund geworden, als Cerryl in die Hallen aufgenommen worden war. Das war noch vor der Zeit gewesen, als Faltar von Anya verführt worden war, aber auch danach war Faltar sein Freund geblieben. Es war schwer, Freunde zu finden.
»Du bist so still«, sagte Leyladin mit einem Seitenblick. »Ich weiß, dass deine Kindheit noch einsamer war, aber auch sie haben im Grunde niemanden.«
Cerryl wäre beinahe ausgerutscht, als er von der letzten Treppenstufe auf die polierten Fliesen der Vorhalle trat. Er konnte sich gerade noch fangen.
»Warum macht dich das so betroffen?«
Er musste einen Augenblick überlegen, ehe er antworten konnte. »Ich hatte es mir noch nicht auf diese Weise überlegt.«
»Ich glaube, ich durfte den Luxus genießen, verschiedene Erfahrungen zu machen, ohne mich um Geld und Essen sorgen zu müssen.« Die rotblonde Frau schauderte, als sie neben ihm die Treppe zur Straße hinunterging. »Es ist kälter geworden.«
»Ja. Faltar sagt aber, der Frühling wird bald kommen.«
Jetzt, am frühen Abend, der wegen der schweren Wolken dunkler war als sonst, lag die Straße beinahe menschenleer vor ihnen. Ein einsamer Reiter zog langsam nach Norden, weg vom Platz der Magier. Cerryl schloss die weiße Lederjacke zur Hälfte, als Schneeflocken um ihn zu tanzen begannen. Er sah Leyladin an, die sich in einen dunkelgrünen Wollmantel gehüllt hatte.
Schneeflocken – damit hätte Cerryl im Frühling nicht mehr gerechnet. Aber es war im Grunde erst Vorfrühling und die neuen Blätter kaum mehr als Knospen, während die zweijährigen sich gerade von grau zu grün verfärbten. Er spürte die leichten Kopfschmerzen kommen, die er bei Stürmen immer hatte. Nicht so schlimm wie bei einem großen Unwetter; es fühlte sich eher an wie das Zwicken bei einem leichten Regen.
»Das Unwetter setzt dir zu, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?«
»Weißt du nicht mehr, dass du es mir selbst erzählt hast?«
Hatte er das wirklich? Er wusste es nicht mehr genau, aber in seinem Leben hatten sich so viele Dinge so schnell verändert, dass er manchmal Mühe hatte, all die neuen Eindrücke zu verarbeiten … wie beispielsweise Kinowins Vortrag über den Handel und jetzt auch noch die Mahnung, er solle seine Fähigkeiten schulen.
Die beiden liefen schweigend durchs Schneetreiben, bis sie sich ein Stück südlich vom Marktplatz befanden.
»Hier entlang.« Leyladin deutete mit einem Nicken die Richtung an.
Etwas weiter bogen sie wieder nach Norden ab.
»So, da wären wir.« Sie winkte einladend.
Leyladins Haus stand nicht direkt am Marktplatz, wo Muneat und die anderen reichen Kommissionäre lebten. Es war etwas kleiner und hatte auch kein Dutzend Fenster aus echtem Glas, sondern nur vier kleine Fenster mit Spitzbögen, je zwei links und rechts der mit Schnitzwerk verzierten Doppeltür aus roter Eiche. Jedes Fenster bestand aus einem Dutzend rautenförmiger kleiner Scheiben, die hell funkelten, weil im Haus Lampen brannten.
Das Gebäude war gut und gern fünfzig Ellen breit und wahrscheinlich noch tiefer, überlegte Cerryl, als Leyladin ihn über den gepflasterten Gehweg führte, neben dem winterlich braunes Gras stand.
»Der Garten ist hinten«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. »Vater meint, er ist für uns gedacht und nicht für die Augen der Passanten.« Die junge Magierin öffnete ihm die Tür. »Soaris! Vater! Wir sind da.«
Sie traten in den beinahe leeren, nur vier Ellen breiten und doppelt so langen Flur, der zu beiden Seiten von fugenlosen Steinwänden begrenzt wurde. Cerryl schloss hinter sich die Tür. In die linke Wand war ein geschmirgelter Holzbalken eingelassen, an dem Zapfen zum Aufhängen von Jacken und Mänteln befestigt waren. Rechts stand eine Bank aus golden schimmernder Eiche ohne Rückenlehne, daneben ein Stiefelkratzer. Eine Stiefelbürste lehnte an der Steinwand.
Cerryl gab zuerst Leyladin die Bürste, um sich anschließend auch selbst die Stiefel zu reinigen. Dann zog er die weiße Jacke aus und hängte sie über einen Zapfen.
Ein großer, schwer gebauter Mann, der eine blaue Hausjacke trug, tauchte am
Weitere Kostenlose Bücher