Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
einzelnen Buchstaben entfalten und klar werden. Dort steht es, in schwarzer Tinte, die sich auf der Seite auf und ab windet. Verblüfft lese ich: »John Blacklock, verwitwet«, und darunter steht: »Agnes Trussel, ledig«.
»Das ist nicht meine Schrift«, sage ich geradeheraus.
»Natürlich nicht«, sagt er und zeigt auf ein Kreuz, das mit Tinte daneben angebracht wurde. »Das ist Ihr Zeichen.«
Ich sehe hin.
»Schließlich können Sie nicht schreiben.« Es ist eine Feststellung, keine Frage.
»Das stimmt, ich kann nicht schreiben.« Ich betrachte wieder das Zeichen auf der Seite, das ich angeblich gemacht haben soll. Es ist ein Kreuz, das mein Leben verändert, und doch ist es nur eine schwarze, zweigartige Kontur auf dieser weißen Seite. Es sieht aus wie die Spur eines Vogels auf einem Weg, die sich an einem kalten Tag auf einer dünnen Schneeschicht abzeichnet. Ich berühre die erhabene Oberfläche des Zeichens, als wäre ich blind. Die Tinte muss dick aus dem Federkiel geflossen sein, als er auf das Papier gedrückt wurde. Ich glaube allmählich, dass ich es tatsächlich gemacht haben könnte. Ich werde mich dafür entscheiden, es zu glauben.
Ich lege eine von Mrs. Mellins Münzen auf den Tisch, und er greift blindlings danach und lässt sie in eine Dose in der Schublade fallen.
»Das Gesetz wird geändert«, bemerkt er. »In einem Monat werde ich Eheschließungen wie diese nicht mehr vornehmen können.« Er legt eine Pause ein. »Solche kostspieligeren Verbindungen, die mehr als den üblichen Segen erfordern. Ich spreche von den heimlichen Eheschließungen, bei denen keine Fragen gestellt werden und die mir ein wenig zusätzlichen Gewinn einbringen. Bald dürfen laut Gesetz keine heimlichen Fleet-Heiraten mehr vollzogen werden.«
»Sie meinen, er hat Sie bestochen?«
Der Pfarrer zuckt mit den Schultern. »Ich habe mich erkundigt, ob die betreffende Dame wegen einer schweren Erkrankung oder einer plötzlichen Unpässlichkeit nicht erschienen war«, erklärt er, als müsste er sich wegen der merkwürdigen Art der Vereinbarung verteidigen. »Doch er antwortete, nein, sie sei nicht krank. Mehr sagte er nicht. Nun ja, ich fand es schon seltsam. Aber dann habe ich seine Guineen genommen, denn an denen war überhaupt nichts Ungewöhnliches.« Wieder zuckt er mit den Schultern. »Was hätte ich tun sollen? Ich muss Geld verdienen. Von nichts kommt nichts.« Er kneift die Augen zusammen, als rechnete er mit meinem Widerspruch, und gibt ein bedauerndes Schnaufen von sich. »Ich hätte mehr dunkle Geschäfte annehmen sollen. Das Leben wäre einträglicher gewesen, wenn ich mehr Ehen geschlossen hätte, bei denen die Braut fehlte.«
Ein Funken fliegt vom Kerzendocht in die Dunkelheit.
»Es wird emsig geheiratet werden, so wie im Herbst die Blätter gegen Ende des Jahres von den Bäumen fallen. Ein wenig Gold wird noch den Weg in meinen Topf finden, und dann werde ich mein Geschäft schließen, dies ist gegen das Gesetz, jenes ist gesetzeswidrig. Vor jeder Eheschließung muss dann ein Aufgebot bestellt werden. Das wird das Ende aller Fleet-Heiraten bedeuten.«
»Ich erinnere mich jetzt ganz genau an Ihren Mann. Ich bin ihm zur Tür gefolgt und habe ihm nachgesehen, als er davonging. Er hat keine Kutsche gerufen und ging einsam die Straße hinunter. Ich sah ihm nach, bis er hinter der Ecke in Richtung Holborn Bridge verschwand.«
Tiefer Schmerz erfasst mich.
Einen Moment lang bin ich zu traurig, um aufzustehen, obwohl ich weiß, dass ich mich auf den Weg machen muss.
Eine Droschke rattert vorbei. Reverend Speke spricht trotz des Lärms weiter. »Es war eine merkwürdige Sache an jenem Tag. Sehr seltsam. Das habe ich auch am Abend zu meiner Frau gesagt, als der Laden zu war und das Abendbrot auf dem Tisch stand.«
»Sie glauben an die Ehe!«, sage ich erleichtert. »Sind Sie ein religiöser Mensch?«, frage ich ihn hoffnungsvoll.
Ein trauriger Ausdruck der Bitterkeit huscht über sein Gesicht. Er sieht aus wie ein Mann, der sich an den Verlust von etwas erinnert, das ihm lieb und teuer war. »Ich war einmal ein überzeugter Geistlicher. Es heißt, dass der Glaube, wenn er einmal in einem Menschen Wurzeln geschlagen hat, wächst und gedeiht, und mit der Zeit soll es immer leichter und müheloser werden. Bei mir war es nicht so. Die Dinge entwickelten sich zu meinen Ungunsten, und schließlich musste ich meine Aufgaben hier, in einem anderen Viertel der Stadt, fortsetzen. Seither habe ich wenig Wunderbares
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