Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
war anders, von dem Tag an, als du hier aufgetaucht bist, triefnass vom Regen. Ich muss zugeben, das hat mich wütend gemacht.« Sie wischt sich die Nase am Ärmel ab. »Kleine rote Flecken hat er auf seinen Wangen gehabt, und die gingen nicht mehr weg.«
»Was hast du gewusst?«, frage ich.
Sie schaut unverhohlen auf meinen Bauch. »Das erklärt so einiges. Ich hab’s vermutet – nicht genau das, aber dass etwas im Gange war. Wie hätte man das nicht merken können! Meine Mutter hat immer gesagt, ich wär nicht dumm, obwohl viele Leute was anderes behaupten.« Sie schnieft. »Beim Abendessen hat er immer dagesessen und dich angestarrt, und er hat deine Hände beobachtet, während du gegessen hast. Hat bei Tisch nicht mehr geredet, sondern dich nur die ganze Zeit angeschaut. Mrs. Blight hat gesagt, du solltest dich entsprechend verhalten, und sie fand dich sehr begriffsstutzig, wie du da kalt wie ein Vanillepudding gesessen, dir deinen Löffel in den Mund geschoben und auf deinen Teller gesehen hast, ohne was zu sagen, so als wärst du ein unberührtes Milchmädchen. Ganz klug, hat Mrs. Blight am Anfang gesagt, die völlig ahnungslose Unschuld vom Lande zu spielen.«
»Und dann wurde klar«, fährt sie fort, »dass in deinem Bauch mehr ist als Mrs. Blights Brotlaibe und Bratensoßen. Doch nicht so schlau, hat sie gesagt, Agnes Trussel ist ganz schön schnell schwanger geworden. Sie hat gesagt, dass du ihr leidtust, und das stimmte. Mir hast du nicht leidgetan, aber ich war überrascht über Mr. Blacklock. Ich wollte, dass du gehst. Es war leichter, bevor du gekommen bist und ihn abgelenkt hast. Er war mir irgendwie dankbar, und damit war ich zufrieden. Ich war schließlich an dem Tag dabei, als seine Frau gestorben ist. Ich war hier, als er Schwierigkeiten mit seinem Geschäft und seinem Lehrburschen Davey Halfhead hatte. Der hatte immer Wutanfälle wie ein verrückter Hund in einem Zwinger und ist schließlich abgehauen. Und dann hat Mr. Blacklock keine anderen Leute mehr eingestellt. Lange Zeit war alles sehr schlicht und einfach, genau so, wie er es mochte. Ich konnte arbeiten, wie es mir gefiel. Dann erschien plötzlich eines Tages Mrs. Blight, und am nächsten Tag warst du da, obwohl ich beim besten Willen nicht verstehen konnte, warum.«
»Er hat mich angestarrt?«, frage ich. Ich bin verwirrt. Ihre wässrigen Augen sehen mich an.
»Als … als wärst du Goldstaub, der auf unseren Tisch gefallen ist.« Sie rümpft die Nase. »Er war so wütend, als Cornelius Soul dir mehr Aufmerksamkeit schenkte, als er sollte. Allerdings haben viele von uns geahnt, dass aus dieser Richtung Unheil droht.« Sie kratzt sich am Kopf und schüttelt ihn dann, als könnte sie dadurch ihre Verwirrung beseitigen. »Aber Hochzeit im Mai! Und niemand hat was davon gewusst, ich kann das alles nicht ganz begreifen«, sagt sie.
»Wann habt ihr geheiratet?«, fragt sie.
»Am elften Mai.«
Sie runzelt die Stirn. »Warum steckt dieses Datum in meinem Kopf als ein besonderer Tag?« Ich sehe, wie der Gedanke in ihr arbeitet, und schließlich bricht die Erinnerung aus ihr heraus. »Ach ja, das war der Tag, an dem Mrs. Blight in der Lotterie gewonnen hat!« Sie reibt sich die Stirn. »Das war ein komischer Abend, jetzt fällt es mir wieder ein. Da hat sie diese ganze gute Soße gemacht, die dann verdorben ist, weil keiner da war und sie aufgegessen hat. Mr. Blacklock ist gar nicht aufgetaucht und du auch nicht …« Sie verstummt allmählich.
»Ah«, sagt sie dann. »Jetzt versteh ich.«
Sie zwinkert mit den Augen.
»Ich weiß nicht.« Wieder schüttelt sie den Kopf. »Irgendwas fehlt, ich weiß nicht was.«
Ich erzähle ihr nicht, dass ich auch nichts davon wusste – ich werde es keiner Menschenseele erzählen.
Ich bin Witwe, bevor ich Braut war, denke ich.
Es herrscht Schweigen, während wir die Brühe löffeln, die Mary Spurren gekocht hat.
»Vermisst du dein Zuhause?«, fragt sie. »Kannst du dahin zurückgehen? Wie sich dein Schicksal gewendet hat – du könntest jetzt alles tun!«
Ich kann nicht sofort antworten. Ich denke an Sussex, an den Weg zum Cottage, der weiß leuchtet, wenn der Regen den kalkhaltigen Lehm den Abhang hinunterspült. Ich male mir aus, wie der Wind durch die grünen Blätter der Buchen streicht. Ich stelle mir vor, dass ein Stück von mir dort zurückgeblieben ist, so wie die Schafe Wollreste an den Dornenhecken hinterlassen, wenn sie sich daran vorbeidrücken oder
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