Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
wieder auf die Papiere. »Ja, ich stelle gerade fest, dass es der Tag war, der auf den freudigen Anlass Ihrer Eheschließung folgte, Mrs. Blacklock.« Als er meine gerunzelte Stirn sieht, liest er noch einmal nach. »Ja, es stimmt, hier ist die Heiratsurkunde, und dort steht als Datum eindeutig der elfte Mai.«
»Die Heiratsurkunde!«, sage ich ungläubig. Ich bin fassungslos, welche Wendung die Dinge nehmen. Ich weigere mich, einen Blick auf das Papier zu werfen, das er mir hinhält. »Ich weiß nicht, wie ein Irrtum dieses Ausmaßes zustande kommen konnte!«, sage ich.
Er legt sich die Hand hinters Ohr. »Wie bitte, Madam? Wollen Sie damit sagen, dass Reverend Speke auf der Fleet Lane sie am genannten Tag nicht durch die Eheschließung zusammengeführt hat? Das wäre höchst ungesetzlich.« Er lächelt mir mitfühlend zu. »Ich darf wohl respektvoll annehmen, dass Ihr Gedächtnis durch die Strapazen der Umstände vorübergehend beeinträchtigt ist. Das passiert leicht im Zustand der tiefen Trauer. Dabei geht hier und da schon einmal ein Tag verloren.« Er senkt die Stimme zu dem Flüstern eines Mannes, der ein Geheimnis seines Berufsstandes mitteilt. »Ich versichere Ihnen, es wäre nicht schriftlich festgehalten worden, würde es nicht stimmen. Mit Tinte!«
»Aber es ist unmöglich!«, sage ich. »Mrs. Blacklock ist seit vier Jahren tot.« Ich bin verzweifelt. Und ich sage es noch einmal deutlicher: »Es ist ein Irrtum. Mit Ihrer Urkunde stimmt etwas nicht! Ein Irrtum!« Aber er hört mir nicht zu, sondern raschelt nur mit den Unterlagen in seiner Mappe. Was ist nur los mit diesem Mann! Ich werde allmählich ungeduldig, weil er mir nicht zuhört. »Mr. Boxall!«, sage ich so scharf, dass er sich mir wieder zuwendet.
»Madam, ich verstehe das«, sagt er ruhig. »Sie möchten so kurz nach Ihrem großen Verlust nicht über geschäftliche Angelegenheiten sprechen, aber Mr. Blacklock hat mich eindringlich gebeten, mich im Falle seines Todes direkt zu seinem Haus zu begeben und mit Ihnen zu reden.«
»Sie verstehen nicht«, versuche ich es wieder. »Es hat …«
»Oh Madam! Aber natürlich tue ich das. Meine eigene Frau ist erst vor Kurzem verstorben, der Verlust schmerzt noch immer wie eine offene Wunde. Verzeihen Sie mir bitte die Störung.« Er hebt ehrerbietig die Hand, als ich sprechen will. »Wir müssen einige rechtliche Angelegenheiten durchgehen, aber das muss nicht hier und heute sein. Und da werde ich nicht nachgeben! Sie haben sich um andere dringliche Dinge zu kümmern.« Er strahlt mich entschuldigend an und sieht sich nach der Tür um. Was nützt das schon?, denke ich.
»Danke, Mr. Boxall«, sage ich.
Er hält ein letztes Mal die Heiratsurkunde in die Höhe und schließt dann seine Mappe. »Er hat mir dieses Dokument persönlich übergeben«, erklärt er. »Er hat nachdrücklich betont, dass ich Sie umgehend aufsuchen solle, falls ihm etwas zustieße. Er hat mir eingeschärft, wie wichtig das wäre, und mir nicht nur einmal, sondern zweimal in dieser Angelegenheit geschrieben, als hätte er geglaubt, ich würde es sonst nicht tun.« Er macht eine Pause.
»Ich quäle Sie, Madam, verzeihen Sie mir«, sagt er, als er mein Gesicht sieht. »Falls Sie nach dem Begräbnis heute Nachmittag mit mir reden wollen, stehe ich Ihnen zur Verfügung.«
Mr. Boxall verbeugt sich und lässt mich allein zurück. Ich rühre mich nicht. Mir schwirrt der Kopf vor lauter Gedanken, wie ein Hagelschauer im April die Blüten vom Birnbaum schlägt.
* * *
Was ist los? Woher kommt diese Stille?
Etwas stimmt nicht hier drin, denke ich, und erst nach einer Weile fällt mir wieder ein, dass Mrs. Blight die Uhr gestohlen hat, sodass ich nicht weiß, wie viel Zeit vergangen ist, als Mary Spurren in den Raum kommt.
»Wie in aller Welt kommst du dazu, dich in diesen Sessel zu setzen?«, fragt sie. »Wieso wollte dieser Mann mit dir über Mr. Blacklocks Geschäftsangelegenheiten sprechen? Mr. Blacklocks Geschäft ist sicherlich die Angelegenheit seines Advokaten.«
Ich sehe sie an. »Das war Mr. Blacklocks Advokat.«
Mary Spurren starrt mich verständnislos an. Sie hat Mehl in ihrem blassen Gesicht.
»Ich muss ausgehen«, sage ich.
39
Der Gestank auf der Straße sagt mir, wie nahe ich dem Viertel um das Fleet-Gefängnis sein muss. Eine Gruppe von Kindern versucht mit einer Schippe, Fische aus dem Ditch zu fangen, dem schmutzigen Kanal, der träge am Ludgate Hill vorbeifließt und bei Blackfriars in die Themse
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