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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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mündet. Er führt nicht ständig Wasser, im Sommer ist er fast nur noch ein Rinnsal aus Exkrementen und blutigen Metzgerabfällen aus den Schlachthäusern in Smithfield. Unter den wohlhabenderen Bürgern, heißt es, wird viel darüber geredet, dass der Kanal abgedeckt werden müsse, aber bis es so weit ist, nutzen ihn die erfinderischen armen Leute für alles, was sie nur können. Ich habe von einem Mann gehört, der toten Hunden im Ditch das Fell abzog und dann ertrunken ist, weil die Flut ihn erwischt hat.
    Als ich mich in die Fleet Lane wende, nehme ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Ich habe jetzt seit zwei Tagen nichts Ordentliches mehr gegessen. Ich muss ganz blass sein, denke ich und gehe zu einer Straßenhändlerin, die an der Straßenecke Pasteten verkauft.
    »Verzeihen Sie, Madam«, sage ich. Warum nenne ich sie Madam? Sie wird das merkwürdig finden, weil ich ein schönes Kleid trage und wie eine wohlhabende Frau aussehe, aber es ist mir egal. »Ich suche einen Reverend Speke … Habe ich da gerade ein Schwein gesehen?«, füge ich hinzu. Sie sieht mich mit versteinerter Miene an. »Geben Sie mir eine von Ihren Pasteten«, sage ich.
    Die Straßenhändlerin taut sofort auf. »Sie haben wahrscheinlich was gesehen, da unten im Schlamm sind schon mal Schweine. Fressen alles, was sie finden, Gott helfe ihnen, dann kommen sie vom Ditch rauf und laufen manchmal in blinder Wut hier herum.« Ihre Stimme klingt rau, aber freundlich. Sie stützt sich auf die Griffe ihres Karrens.
    »Sind sie … wild?«, frage ich dümmlich. Sie schaut mich an und mustert dann von oben bis unten Mrs. Blacklocks Trauerkleid, in einer abschätzigen Weise, die mir zeigt, dass sie Damen in guten Kleidern nicht mehr schätzt als andere. Weil das Kleid ein bisschen zu lang für mich ist, schleift der Saum in der Gosse und ist nass und schmutzig. Sie kann meine Schuhe nicht sehen.
    »Wild? Sie gehören genauso jemandem wie Sie oder ich.« Sie nickt in Richtung der Straße. »Spekes Haus ist gleich da drüben, hinter dem Gasthaus Hand and Pen. Geschäfte, oder?«, fragt sie neugierig. »Oder geht es um was … Persönliches?«
    »Eine Privatangelegenheit«, antworte ich.
    »Aha«, sagt die Frau, als wüsste sie Bescheid, aber das ist nicht so.
    »Er ist tot. Mein Mann ist tot«, erwidere ich, um sie zum Schweigen zu bringen. »Er wird heute beerdigt.« Die lächerlichen Worte entschlüpfen meinem Mund, und sie hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack.
    Ein Wagen rattert vorüber. Die Münzen in meiner Hand sehen alle gleich aus. Als ich aufblicke, entdecke ich in ihrem Gesicht einen Anflug von Mitleid, und das ist noch schlimmer, denn es bringt sie zu nahe und verschafft ihr Genugtuung. Sie wickelt die Pastete ein und steckt Mrs. Mellins Münze in den Mund, um darauf zu beißen und sie zu prüfen. Von ihren Zähnen sind nur noch schwarze Stummel übrig.
    »Nun denn«, sagt sie mit einem Schulterzucken. »Manche behaupten, dass wir ohne einen Herrn und Meister besser dran sind.« Mrs. Mellins Münze funkelt golden, als sie sie in ihren Beutel steckt.
    Ich warte nicht auf Wechselgeld von dieser Frau. Wie herzlos und treffend ihre Vermutung ist, und wie sehr ich mir wünsche, es wäre nicht so.
    Ich sehe die Schweine nicht noch einmal. Als ich um die Ecke biege, werfe ich die widerliche Pastete sogleich fort und schüttle den Rest auf die Straße. Dann reibe ich mir die Hände, um das Fett abzuwischen. Zwei Krähen lassen sich geräuschvoll nieder und streiten sich um die Kruste der Pastete und das gekochte alte Fleisch. Wie ich Krähen und die schwarzen Federn, die ihnen ausfallen, hasse! Eilig gehe ich weiter, bis ich auf meiner Linken die Mündung eines schmalen Gässchens und ein verblasstes Schild mit dem Bild zweier miteinander verschränkter Hände sehe. Darunter steht der Schriftzug »Eheschließungen«.
    Durch die Scheiben aus dickem, schmutzigem Glas fällt nur wenig Licht ins Gebäudeinnere.
    »Reverend Speke?«, rufe ich in die muffige Düsterkeit, und sogleich kommt ein alter Mann nach vorn ins Licht geschlurft, das durch die offene Tür fällt. Er sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. Seine Wirbelsäule ist krumm, vielleicht weil er sein Leben lang mit der gespitzten Feder, die ich in dem Tintenfass auf seinem Tisch erkenne, inbrünstig das Schicksal anderer Menschen in seine Bücher eingetragen hat. Seine Perücke ist verfilzt, und ich sehe, dass er an einer Hautkrankheit leidet. Das Gewerbe der

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