Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
wieder hinein zu dem ausgelassenen Fest.
»Was soll ich tun?«, flüstere ich, als sie fort ist, aber die Nacht schweigt. Da ist nur der Nebel, der alle Formen verschwinden lässt und die Sterne verdeckt.
An der Tür zur Scheune zögere ich und drehe mich um. John Glincy kann ich nicht sehen. Durch den Rauch erkenne ich meine Mutter auf der anderen Seite der Scheune, ihr Fuß tappt im Rhythmus der Trommel. Der warme Geruch nach Schweiß hängt in der Luft, und auf dem Tanzboden herrscht neuer Andrang. Im Feuer, das nun stetig in hellen Flammen lodert, raucht das Holz. Man hat im Wäldchen große Äste von den Buchen, die in dem großen Sturm umgestürzt waren, abgesägt und hergezogen. Hester liegt wach auf dem Schoß meiner Mutter und strampelt mit ihren kleinen Beinchen. Ich kann das Gesicht meiner Mutter nicht sehen, vor ihr stehen Leute. Als ich mich abwende, brechen sie gerade in lautes Gelächter aus, ihre aufgesperrten Münder sind wie eine rote Explosion. Das Gelächter klingt in meinen Ohren nach, während ich davoneile. In der plötzlichen Stille und Kälte draußen habe ich einen Moment lang das Gefühl, taub zu sein, als würde mir jemand die Ohren zuhalten. Nichts fühlt sich richtig an.
Die Fackeln an dem nebligen Weg sind fast völlig heruntergebrannt. Ich gehe den dunklen Pfad entlang und grüble über meine unglückliche Lage nach. Das Durcheinander in meinem Leben ist wie ein Flechtzaun, der durch das Hin und Her zusammenhält, in dem es trotz allem eine gewisse Ordnung gibt, und der die verschiedenen Zustände voneinander abgrenzt. Irgendwie hilft mir die Vorstellung, dass meine Schwierigkeiten in mein Leben hineingeflochten sind. Auf dem Heimweg nimmt meine Entscheidung immer klarere Formen an.
In dem leeren Haus packe ich ein paar Dinge zusammen und wickle sie in ein Stück Wachstuch ein. Ich beeile mich, weil ich Angst habe, jemand könnte mir gefolgt sein. Das Cottage wirkt auf einmal trostlos, verstreut liegen Gegenstände herum, wo wir sie zurückgelassen haben – alles sieht aus wie an einem ganz normalen Tag. Ich kann natürlich nicht jetzt gleich aufbrechen, weil sich sonst das ganze betrunkene Dorf auf die Suche nach mir machen würde, sobald man meine Abwesenheit im Cottage entdeckt hätte. Sie würden glauben, ich wäre ermordet oder überfallen worden oder beides. Ich muss bis Tagesanbruch warten und dann hinausschlüpfen. Ich bringe mein fertig gepacktes Bündel aus dem Haus und trage es ein kurzes Stück den Weg entlang. Der Nebel ist feucht und durchdringt alles. Als der Eingang zu einem leeren Feld zu meiner Linken auftaucht, schiebe ich das Bündel unter die Hecke hinter dem Torpfosten. Wäre ich nicht so traurig und durcheinander, käme es mir nahezu lächerlich vor, meine Habseligkeiten wie ein Vagabund oder ein Verbrecher unter einem Busch zu verstecken.
»Ich gehe nach London«, sage ich in den Nebel, um meinen Entschluss zu prüfen. Meine Stimme klingt, als gehörte sie zu jemand anderem – sie ist so dünn und flach über dem dunklen Feld. So fühlen sich Verbrecher, sage ich mir. Sie fühlen sich klein und einsam, wie es sich gehört. Ich habe einer Leiche Geld gestohlen. Die kurzen Stoppeln knirschen unter meinen Schuhsohlen. Ich bleibe lange am Tor stehen. Meine Hand liegt auf dem Torpfosten, und ich atme den kalten Nachtgeruch des Stoppelfeldes ein. Ich lausche den leisen Tönen der Nachtgeschöpfe, die sich ihren Weg in der Hecke suchen. Der Nebel hängt in kleinen Tröpfchen an den Ästen der Bäume, an kleinen Zweigen und Blättern an der Unterseite der Pflanzen und tropft irgendwann herunter. Jeder Tropfen sammelt langsam Wasser, wird schwerer und fällt schließlich mit einem leisen Platschen auf die abgestorbenen Blätter. Ich finde dieses Tropfgeräusch seltsam tröstlich, als wäre es das Geräusch der Erde, die sich selbst ernährt. Als ich mich umdrehe und, ohne zu schauen, auf den Weg zurücktrete, ertönt aus dem Wäldchen hinter mir der Schrei einer Eule.
* * *
In dieser Nacht schlafe ich kaum, aus Angst, zu spät aufzuwachen oder im Schlaf zu sprechen. Die Strohmatratze unter mir ist klumpig, und ich wälze mich ruhelos hin und her. Die anderen sind nach Hause gekommen. Die Luft stinkt immer noch nach abgestandenem Bier, als ihr Geplapper aufgehört hat, und ich drehe mich mit dem Gesicht zur Wand. Und dann träume ich schreckliche Dinge über meine Gestalt: Mein Körper wird immer dünner und streckt sich meilenweit über eine hell erleuchtete
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