Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Landschaft, bis ich nur noch eine leere Hülle bin. Dann träume ich, dass mein Körper wieder fest ist und ich zusammengerollt unter einem alten, grasbewachsenen Hügel oben auf dem Berg liege. Ein Haufen harter Erde presst mich flach in die Dunkelheit und wird allmählich trocken wie die alten Knochen, die die Jagdhunde von Wiston House vor zwei Jahren dort ausgegraben haben. Damals hat es eine Woche lang stark geregnet, und dadurch ist es an der Südseite des Hügels, die dem Wind vom Meer her ausgesetzt ist, zu einem kleinen Erdrutsch gekommen.
Natürlich ist nichts davon wahr, als ich aufwache.
Ein wenig blasses Licht sickert bereits durch den gemusterten Baumwollstoff, der vor dem Fenster hängt. Es ist ein Stück von dem Kleid, das meine Mutter zur Hochzeit meines Onkels getragen hat, als ich noch sehr klein war. Ich hatte eigentlich nicht vor, so lange zu schlafen. Im Raum hängt ein säuerlicher Geruch, als ich aufstehe, meinen Umhang und meine Stiefel nehme und sorgfältig meine Füße zwischen die knarrenden Dielen setze. Mein Herz hämmert, so laut, dass es sie bestimmt alle aufwecken muss. Ich ziehe an dem Lederriegel und öffne die Tür zur Treppe.
Unten in der Küche liegt mein Vater auf der Seite auf der Bank. Er hat seine Stiefel noch an, und der Saum seines Mantels hat die Asche im Herd zu einem kleinen Wall zusammengeschoben. Sein Kopf liegt im Nacken, und sein Mund steht offen. Sein krächzendes, feuchtes Atmen dringt langsam in die Stille des Raumes. Ich wende den Blick ab, während ich überaus vorsichtig an ihm vorbeischleiche. Meine Füße in den Wollsocken machen nicht das geringste Geräusch auf dem glatten Lehmboden. Im Hinterzimmer dreht sich meine Mutter im Bett um, und ich sehe, dass Hester sich in dem Rollbett neben ihr bewegt und an ihrer kleinen Faust nuckelt. Ich wage es nicht, den Raum zu durchqueren und ihr weißes Gesichtchen sanft zu küssen. Ihre dunklen Augen folgen mir bis zur Tür.
Ich berühre mein Mieder an der Stelle, wo die Münzen sind. Draußen hat sich der Nebel verzogen. Die kühle Luft ist dünn und dringt mir rasch in den Kopf. Mir ist schwindelig, weil ich auf der Flucht bin und mich davonstehle. Ich muss mir Mühe geben, nicht zu rennen, als ich den kurzen Pfad entlanggehe und auf den Fahrweg einbiege. Die Sterne über mir am blauen Himmel sehen aus wie verblassende Stecknadelköpfe. Ich kann eben noch erkennen, dass der Große Wagen wie immer auf den Polarstern zeigt. Ich denke an die Stadt London, die im Norden hinter der nächsten Hügelkette der Downs liegt. Der Himmel ist weit, und als ich einen Blick über die Schulter zurückwerfe, sehe ich das Haus, das sich blass im frühen Morgenlicht hinter mir abzeichnet.
Ich schaue noch einmal zurück, und mir bleibt fast das Herz stehen, als ich an einem der oberen Fenster den Schimmer einer Bewegung sehe.
Ich warte darauf, dass jemand die Fensterflügel aufstößt und laut ruft: »Agnes! Wohin gehst du? Komm sofort zurück!« Aber es bleibt still. Das zurückgestrahlte Licht hat mir einen Streich gespielt oder die Dunkelheit. Niemand weiß, dass ich fort bin, und ich fühle mich leer vor Traurigkeit, als ich mich abwende und zwischen den dunklen Hecken weitergehe. Die Furchen auf dem Weg bringen mich ins Stolpern.
Ich schäme mich. Wie Lil schluchzen wird, wenn sie merkt, dass ich weg bin. Dann wird sie wochenlang wütend sein, und schließlich wird sie mich allmählich vergessen. Ich ziehe mein Bündel unter dem Holunderstrauch hervor. Es ist triefend nass vom Tau der Nacht und hinterlässt einen kalten nassen Fleck vorne auf meiner Kleidung.
Kein Rauch steigt aus den Wohnhäusern rund um den Dorfanger, nur aus dem Schornstein des Bäckers, Mr. Reekes, am Ende des Dorfes. Dieser Rauch ist weiß und kräuselt sich zu den schwindenden Sternen hinauf, als wäre das morgendliche Feuer frisch angezündet worden. Ich nehme nicht den Duft des Brotbackens wahr, dafür ist es noch zu früh. Der Bäcker knetet bestimmt bei Laternenschein den Teig und bearbeitet ihn mit seinen Händen, die so groß wie Essteller sind. Einmal habe ich gesehen, wie er diese Hände in Alice Mants Korsett schob, als sie Brot kaufen wollte – sie dachten wohl, sie wären allein. Ich überquere das Weideland und gehe auf dem Weg am Rand des Gutshofs der Wistons um das Gemeindeland herum. Ich denke an Ann.
Sie war es, die eines Tages bemerkt hatte, dass John Glincy mir nachstellte. Sie ist der Typ Mädchen, dem alles auffällt. Sie
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