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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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auf der Schulter zu den Sägegruben. Ich erstarrte und wagte kaum zu atmen. Lieber Gott, bitte mach, dass er mich nicht sieht, betete ich. Als das Gefährt an ihm vorbeischwankte, trat er an die Böschung zurück und grüßte den Kutscher. Sein Atem stand weiß in der kalten Luft. Richard Benter ist einer der Saufkumpane meines Vaters. Er war so nah, dass ich die Pockennarben auf seiner Wange erkennen und den Tabakgeruch riechen konnte, der aus der Tonpfeife aufstieg, an der er zog. Es grenzte an ein Wunder, dass er mich nicht sah, aber ich konnte den Blick nicht abwenden. Dann bogen wir um die Ecke. In dem Moment, als er hinter dem Laden aus meinem Blickfeld verschwand, schien er mir geradewegs in die Augen zu schauen. Mein Herz pochte heftig.
    Das Bild, wie er verwirrt die Augen zusammenkneift und die Hand ein Stück weit hebt, verfolgt mich. Hat Mr. Benter mich in der Kutsche nach London erkannt? Und falls es so war, was wird er tun?
    »War das eine von deinen, die ich heut Vormittag gesehen hab?«, höre ich ihn fragen. »Auf dem Wagen in die Stadt?«
    Mein Vater, der nie zugeben kann, dass er von etwas nichts weiß, würde sich zugeknöpft geben.
    »Kann sein«, würde er vielleicht achselzuckend erwidern.
    Erst später würde er murmeln, falls es so wäre, dann ohne seine Erlaubnis. Mein Vater würde nicht darum bitten, sich Mr. Fittons Stute ausleihen zu dürfen, um mir nachzureiten und mich zurückzuholen.
    Es ändert nichts, wenn sie erfahren, wohin ich gegangen bin. Jedenfalls solange noch niemand von meinem Diebstahl weiß. Und natürlich wissen sie nichts davon. Wie könnten sie auch? Keiner wäre auf den Gedanken gekommen, dass Mrs. Mellin etwas Geld hatte. Wir wussten es nicht, und schließlich waren wir ihre nächsten Nachbarn. Leichter Zweifel flackerte in mir auf. Sicherlich war es ihr armseliges kleines Geheimnis, dass sie die Münzen gehortet hat – aber wofür? Sie hatte ja niemanden mehr.
    Eine Bemerkung der Frau neben mir lässt mich auffahren. »Die Sägegrube läuft gut, weil heutzutage so viele Zäune gebraucht werden«, sagt sie. Natürlich, sie muss Mr. Benter kennen. Vielleicht war es ihr Gesicht, auf das sein Blick gefallen war.
    Ich hüstele, als hätte ich sie nicht richtig gehört.
    Mein Erschrecken lässt nach, aber ich bin noch eine ganze Weile ziemlich unruhig und wünsche mir, die Pferde würden schneller laufen. Ich drücke gegen mein Mieder, um sicherzugehen, dass die Münzen nicht klimpern oder klirrend gegeneinanderstoßen. Ich beobachte die Straße hinter uns. Wenn ich erst die Stadt erreicht habe, wird sie mich verschlucken, beruhige ich mich selbst, jede Spur von mir wird ausgelöscht sein.
    Wir fahren durch Ashurst und passieren Blake’s Farm und Sweethill Farm.
    Ein Stück hinter Godmark’s Farm müssen wir auf der Straße warten, um den Fluss zu überqueren. Ich zwinge mich dazu, ein paar Bissen von dem trockenen Brot zu essen, das ich mitgenommen habe. Meine Finger sind steif vor Kälte. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die Straße vor uns – mit jeder Meile wächst der Abstand zu einem Teil meiner Probleme und Umstände. Ich sehe einen Mann, der aus einer Holzflasche trinkt, er hat den Kopf in den Nacken gelegt und lässt die Flüssigkeit in sich hineinlaufen. Ich sehe einen Habicht. Ich rieche den durchdringenden Geruch der Pferde, und ich rieche das Stroh der Haube der dicken Frau. Ich sehe ein Ochsengespann vor einem Pflug, der die Erde hinter sich aufreißt. Ich sehe drei neue, helle Räder im Hof eines Stellmachers, und ich höre das Zischen eines Schweifhobels beim Bearbeiten von Holz. Ich sehe den orangefarbenen Kadaver eines Fuchses.
    Und mit der Zeit beruhigt mich die Bewegung des Wagens und bringt mich zur Vernunft. Ich atme die kühle Luft tief ein, und das hält die Übelkeit fern. Ich kann wahrlich nichts anderes tun, als die Welt zu betrachten, die sich hinter mir und seitlich der Straße entfaltet. Ich sehe, dass der Schlamm der Straße hinter uns die Farbe wechselt, von blasslehmfarben zu einem dunkleren braunen Lehmton, und dann wieder zu hellem Lehm.
    Als der Wagen mühsam hinauf zu einem Galgen an einer Wegkreuzung gezogen wird, ist der Schlamm seicht und weiß von Kalk. Der Mann neben dem Fahrer ruft: »Burnt Oak Gate!«, aber niemand greift nach seinem Gepäck, um abzusteigen. Als wir näher kommen, sehe ich eine glänzende Krähe, die sich von dem Querbalken des Galgens abstößt und schwerfällig in die Höhe fliegt. Sie erhascht

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