Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
den Rauch unter dem Dachstuhl flattert eine Fledermaus in der Scheune hin und her. Sie schafft es nicht, hinauszugelangen.
John Glincy, natürlich, ist hier. Als er mich entdeckt, nimmt er seinen Bierkrug und schlängelt sich heran. Ich hasse es, wenn ich mich so fühle. Ich hasse ihn und seine rauen Hände auf meinen Schultern vor den Augen meines Vaters und seinen Hund, der mir seine Schnauze zwischen die Beine schiebt. Ich schüttle seine Hände ab und setze mich mit den anderen zum Essen an einen der Tische. »Du hättest es schlechter treffen können, Ag!«, ruft John Glincy mir über seinen Teller hinweg von der Bank mir gegenüber zu. Ich wünschte, er würde das nicht tun. Sein Bier schwappt auf den Holztisch. Er ist ein Trunkenbold und ein Lüstling. Man kann ihm nicht trauen. Wie könnte ich ihm trauen? Ich kann ihm zuerst nicht einmal in die Augen sehen. Schlechter als was? Ich verstehe ihn nicht. So vieles ist schlecht. Ich bin schlecht, und meine Schlechtigkeit vervielfacht sich. Und jetzt ist es ohnehin zu spät, denke ich mir. Falls ich hier im Dorf bleiben würde, bliebe mein fleischliches Vergehen bestehen – es wird allmählich unter meiner Haut wachsen, bis seine Glieder von innen gegen meinen Bauch drücken. Und die Folgen meines Diebstahls pressen sich von außen gegen meine Haut. Man wird mich überführen. Es kann gar nicht anders sein.
Ich finde, das gekochte Fleisch schmeckt nach nichts. Ich kaue nur und schlucke. Sogar jetzt beobachte ich die Tür – für den Fall, dass jemand mit einem Haftbefehl für mich erscheint und vor der versammelten Menge ruft: »Ich verhafte Agnes Trussel … wegen des Diebstahls von zwölf Goldstücken sowie weiterer Münzen von der verstorbenen Susan Mellin. Außerdem steht sie unter Verdacht, die zuvor erwähnte Susan Mellin ermordet zu haben …«
»Schreckhaft heute Abend, Ag?«, sagt John Glincy grinsend und legt von hinten den Arm um mich. Mir gefällt das überhaupt nicht, und ich stoße ihn zurück. Ich will nicht angefasst werden, und das sage ich ihm auch.
»Lieber würde ich zur Brücke über den Fluss Arun laufen und mich hinunterstürzen«, fauche ich ihn an. Er weiß nicht, dass ich ein Kind erwarte, und er wird es auch nie erfahren.
»Aber das Gesetz ist in dieser Hinsicht bindend«, erwidert er spöttisch. »Du hast dich mir versprochen. Ich kann das ausnutzen, weißt du, und dein Gebundensein bekräftigen. Du wirst feststellen, dass ich das entscheiden kann.« Er findet das lustig. Er nimmt einen kräftigen Zug von dem Ale in seinem Krug. Seine Mundwinkel glitzern feucht.
»Du bist ein Lügner, John Glincy«, entgegne ich. »Ich habe dir kein Versprechen gegeben, und das werde ich auch nie tun.« Allein der Gedanke daran verursacht mir Übelkeit. In meiner Verwirrung bin ich den Tränen nahe.
»Ach«, sagt er, beugt sich vor und spricht mir leise ins Ohr. Sein Mund ist heiß. »Aber ich habe dich besessen, Agnes.« Er hat aufgehört zu grinsen.
Und er hat recht.
»Siehst du«, flüstert er und schiebt sein widerliches Gesicht dicht an mich heran, »darin liegt der Unterschied, deine Lüge steht gegen meine.« Als er durch den Raum davongeht, wendet er noch einmal seinen blonden Schopf und hebt seinen Krug, um mir zuzuprosten. Wieder grinst er, noch breiter als zuvor.
Was für ein Durcheinander das alles ist, ich habe mich darin verloren. Wie sehr wünsche ich mir, ich könnte meine Gedanken ausschalten und verschwinden lassen. Die Musik spielt weiter und macht mich benommen. Als ich nach einem Moment die Augen wieder öffne, gehe ich zu Lil und rufe ihr zu, dass ich müde sei und mich nicht wohlfühle. Ich wolle nach Hause gehen und mich hinlegen. Sie nickt, als ob sie mich nicht gehört hätte. Ihre Wangen sind erhitzt und gerötet.
»Was ist denn los, Miss Trübsal? Komm tanzen, tanz mit mir!« Sie zerrt an meinem Arm, bis ich aufstehe und eine Quadrille mit ihr tanze. Aber ich bin nicht mit dem Herzen bei der Sache.
»Mrs. Mellin ist nicht gekommen«, ruft sie mir über den Lärm zu und schiebt ein paar Haare zurück unter ihre Haube. Ihr Atem riecht nach Bier.
»Nein«, rufe ich zurück. »Sie hat gesagt, ihr krankes Bein tue ihr weh.«
Lil sieht einen Moment lang nachdenklich aus, aber dann hat sie es wieder vergessen. Sie ist jung, und die Musik setzt wieder ein. Voller Schrecken spüre ich, dass die gelben Münzen unter meinem Mieder herauszurutschen drohen.
Ich sage Lil, sie solle auf sich aufpassen, aber sie reagiert
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