Die Fastnachtsbeichte
Zeigefinger durch Geburtsfehler verkrüppelt. Der Mann war deshalb
zunächst mehrere Jahre vom Militärdienst zurückgestellt und wurde erst auf
wiederholte freiwillige Meldung hin genommen, nachdem befunden worden war, daß
er überhaupt Linkshänder ist und die zur Bedienung des Karabiners und der
Reiterpistole notwendige Krümmung des Zeigefingers mit der linken Hand
einwandfrei ausführen kann. Säbel und Lanze bedient er vorschriftsmäßig mit der
rechten.«
Jeanmarie nickte nur bestätigend zu
dieser ausführlichen und korrekten Auskunft.
»Bitte«, sagte der Kriminalrat nicht
ohne Freundlichkeit zu Bäumler, »zeigen Sie uns Ihre rechte Hand.«
Mit zusammengepreßten Lippen und
verlegenem Gesicht nahm der Aufgeforderte die Hand aus dem Rock, in dem er sie
bisher verborgen hatte, und hob sie in halber Höhe vor seine Brust. Anstelle
des rechten Zeigefingers befand sich nur ein kleiner, mit dem Knöchel
verwachsener Höcker.
»Danke«, sagte Merzbecher, woraufhin
Bäumler sofort seine Hand wieder verschwinden ließ, als ob er sich ihrer
schäme. Vom Sitz der Bäumlern kam ein leises, höhnisches Lachen.
»Sie hatten sich angewöhnt«, sagte
Merzbecher zu Bäumler, »in und außer Dienst immer Ihre Monturhandschuhe zu
tragen?« Bäumler nickte kurz. Merzbecher griff hinter sich und nahm ein kleines
Päckchen vom Tisch, das er auswickelte. Es enthielt ein Paar weiße
Zwirnhandschuhe, an deren rechtem ein fest ausgestopfter Zeigefinger auffiel.
»Sind das Ihre Handschuhe?« fragte er. Bäumler nickte. »Ich danke den Herren
vom sechsten Dragoner-Regiment für ihre Aussage und bitte Sie, jetzt wieder
Platz zu nehmen«, sagte Merzbecher. »Sollten Herr Rittmeister und Wachtmeister
es eilig haben, so brauche ich Sie nicht mehr«, ergänzte er sich, aber keiner
der beiden verließ den Saal. Merzbecher wandte sich an einen der Polizisten.
»Holen Sie dem Clemens Bäumler einen Stuhl«, sagte er. Der setzte sich mit
einem dankbaren Blick.
Er habe nun, sagte der Kriminalrat, der
stehengeblieben war, noch eine ergänzende Identifikation vorzunehmen, und
winkte den beiden Frauen, die von den anderen abgesondert im Hintergrund saßen.
Frau Guttier rauschte wie zu einem großen Auftritt nach vorn, während das
Mädchen scheu und zögernd folgte. »Kennen Sie den Mann?« fragte Merzbecher die
Madame, im Tonfall einer eigentlich überflüssigen Routine-Frage.
»Natürlich«, sagte Frau Guttier, »und
die Sache mit den Handschuhen ist mir sofort aufgefallen, ich wußte gleich...«
»Danke!« sagte Merzbecher drohend, »wir
haben das alles im Protokoll.« Dann wandte er sich an das Mädchen, das kaum
aufzuschauen wagte. »Sie heißen?«
»Suzanne Ripflin«, sagte das Mädchen
leise, mit französischer Aussprache der Endsilbe.
»Sie stammen aus Bicheweiler bei
Forbach in Elsaß-Lothringen, waren in Straßburg als Dienstmädchen beschäftigt,
haben Ihre Stelle wegen einer unterbrochenen Schwangerschaft verloren und sind
jetzt unter dem Namen Rosa im Hause Kappelhof Nr. 14?«, las Merzbecher von
einem Aktenblatt, das er vom Tisch aufgenommen hatte. Das Mädchen nickte
bestätigend. »Sie haben am Samstagabend den Besuch des hier anwesenden Mannes
empfangen — um welche Zeit?«
»Ich weiß nicht genau«, sagte die Rosa,
»ich trage bei der Arbeit keine Uhr.«
»Können Sie es nicht ungefähr sagen?«
»Es war mein erster Besuch an diesem
Abend. Es kann noch nicht spät gewesen sein, aber es war schon dunkel draußen.«
»Haben Sie den Mann vorher gekannt? War
er schon früher bei Ihnen gewesen?«
»Aber nein«, fuhr Madame Guttier
dazwischen, »er ist am Samstag zum erstenmal...«
»Wollen Sie bitte«, sagte Merzbecher
mit ungewohnter Strenge, »nicht reden, wenn Sie nicht gefragt sind. Ich
wiederhole«, wandte er sich an das Mädchen, »haben Sie den Mann vorher
gekannt?«
»Nein«, sagte die Rosa leise.
»Sie hatten ihn bestimmt noch nie
gesehen? Sie standen in keinerlei Beziehungen zu ihm?«
»Nein«, sagte die Rosa wieder, diesmal
etwas lauter und ziemlich fest.
»Warum haben Sie dann«, fragte
Merzbecher rasch, »nach Aussage der Frau Guttier, versucht, ihr den Schlüssel
zu entwinden, mit dem sie den Mann, als er ihr verdächtig wurde, einschließen
wollte? Was haben Sie mit dieser Handlung bezweckt?« Er sah Rosa scharf an, die
über und über errötete. »Antworten Sie, bitte.«
»Er hat mir leid getan«, sagte Rosa mit
kaum hörbarer Stimme, nachdem sie mehrmals geschluckt hatte.
»Ist das alles?«
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