Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
Vom Netzwerk:
einmal
zurück, um seiner Mutter und Schwester ihr Fortgehen mit einer plötzlichen
Müdigkeit des jungen Mädchens zu erklären, die das lange Schauspiel
überanstrengt habe und die wohl auch noch unter dem raschen Klimawechsel leide.
    Da bei den Bekkers jetzt Kaffee, Gebäck
und Liköre serviert wurden und noch niemand ans Aufbrechen dachte, war es nur
selbstverständlich, daß Bettine bei der Mutter blieb, um später bei der
Heimfahrt an ihrer Seite zu sein. Es gelang Jeanmarie, ohne weitere
Verabschiedung wegzukommen und Viola im Treppenhaus einzuholen. Sie drängte
hinaus und vermied noch immer, ihn anzusehn.
    Es war Nachmittag geworden, und da der
Himmel sich bewölkt hatte, herrschte schon graues Dämmerlicht. Auf den größeren
Plätzen und Straßen begannen die Bogenlampen zu erglimmen, während im
Gassengewinkel, wo es noch Gasbeleuchtung gab, die Laternenanzünder ihr Werk
taten. Maskierte ›Bittel‹ warteten nur auf ihr Verschwinden, um an den
Laternenpfählen hinaufzuklettern und sie wieder auszudrehn. Dies geschah nicht
nur als Nachahmung eines altgedienten Studentenulks, sondern man wollte die
Dämmerstunde und die zwischen Haustoren, Einfahrten, Sackgäßchen und
Hinterhöfen schon dichter fallende Dunkelheit lieber ohne den störenden
Lichtschimmer genießen: denn jetzt war, mit dem sinkenden Tag und der
steigenden Blutwärme, in das närrische Treiben, bisher ganz mit Schaulust und
Alberei gesättigt, etwas von Rausch, Trieb und Kitzel eingebrochen, ein
brunstschwelliges, ruhloses Wittern und Suchen, ein Drang nach saturnalischer
Ungebundenheit, nach Bockssprung und Rammelei, eine Lust, fremde Weiber
anzupacken, unzüchtige Griffe zu tun, unter den Halblarven die nassen Mäuler
auf zungengespaltene Lippen zu drücken: und die Liebespärchen gingen eng
ineinandergepreßt, um sich in Treppenhäusern gierig zu umarmen.
    Zwar hatte sich mit dem Verschwinden
des Zugs ein Teil der Leute verlaufen, aber die Stadt vibrierte und summte noch
wie ein Bienenstock, bevor der Schwarm ausbricht; hier und da hörte man das
erschreckte, abwehrende oder lüsterne Aufkreischen einer Frau, das Gedudel und
den Singsang aus Wirtschaften, das Johlen der Angetrunkenen. Es war immer noch
schwer, auf den Straßen voran zu kommen, an ein Gespräch war nicht zu denken.
Jeanmarie hatte alle Mühe, die in einer nebelhaften Abwesenheit an seinem Arm
hängende Viola durch den Menschenstrom zu steuern, der immer dichter wurde, je
näher man dem Rhein und der Stadthalle kam, an der sie auf ihrem Weg zum
Dampfboot vorbei mußten. Dort, auf dem Halleplatz, hatte wie jedes Jahr ein
fliegender Jahrmarkt, die ›Meß‹ genannt, seine Karusselle, Rutschbahnen,
Zucker- und Schaustellerbuden aufgeschlagen, und von ferne schon hörte man das
Scheppern und Heulen, Hämmern und Rasseln der mechanischen Drehorgeln und
Musikautomaten. Ein rötlicher Glutschein schwelte über dem Meßplatz, dessen
größere Zeltbuden schon beleuchtet waren, und ein Geruch von frisch gebackenen
Waffeln, gebrannten Mandeln, gerösteten Kastanien und türkischem Honig wehte
mit dem Stank von Karbidfunzeln in der Luft.
    Seltsamerweise bewirkten die Nähe und
der Anblick dieses Jux- und Rummelplatzes eine vollständige Veränderung bei
Viola. Neugierig drängte sie hin, den ganz perplexen Jeanmarie an der Hand mit
sich ziehend, ihre Augen funkelten und lachten, es war, als hätte sie alles
andere vergessen und nichts mehr im Sinn, als immer tiefer in das Gewühl
zwischen den Buden einzudringen. Die beweglichen Figuren vor ›Schichtls
Zaubertheater‹ und die an unsichtbaren Fäden kreisende Eule mit ihren glühenden
Augen entlockten ihr Aufschreie des Entzückens; vor dem mechanischen Gorilla,
der in einem Glaskasten eine halbnackte weiße Frau auf den Armen trug und dabei
das Maul auf- und zuklappte, schlug sie entsetzt die Hände vor die Augen; über
die fleischprotzenden Muskelmänner vor der Ringkämpferbude und ihr
herausforderndes Gebrüll und Gehabe wollte sie sich ausschütten vor Gelächter
und gleichzeitig vor Ekel vergehen, bei ›Wallendas Wolfszirkus‹ lauschte sie
schaudernd auf das Peitscheknallen und Schießen, zu den tanzenden Liliputanern
starrte sie in ehrfürchtigem Staunen hinauf, und immer wieder bat sie
Jeanmarie, ihr da und dort bei den kinderumdrängten Händlern etwas zu kaufen:
bald hielt sie viele kleine Tüten, mit heißen Maronen, gesponnenem Zucker,
rötlichen oder giftgrünen ›Meßklumpen‹ und tintenschwarzen Lakritzen in

Weitere Kostenlose Bücher