Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
Vom Netzwerk:
Gesetz und Gewissen beizustehen, nur um ihr durch
Mitschuld enger verknüpft zu sein.
    Eine Zeitlang standen sie so
aneinandergelehnt, auch sie schien zu fühlen, daß noch irgend etwas gesagt oder
geklärt werden müsse, bevor sie sich trennten.
    Schließlich nahm er mit einer zarten
Bewegung ihren Kopf von seiner Schulter, hob ihr Gesicht, daß sie ihm wieder in
die Augen blicken mußte, fuhr ihr leicht übers Haar, von dem der seidene Schal
abgeglitten war.
    »Ich habe dich«, begann er stockend,
»mit meinen Fragen erschreckt... Ich will dir alles sagen, was ich weiß...«
    Sie schüttelte traurig den Kopf.
    »Tue es nicht«, sagte sie leise, »es hat
keinen Sinn mehr. Du kannst mir nicht helfen.«
    »Willst du dich mir nicht anvertrauen?«
fragte er hoffnungslos.
    Sie ließ die Lider müde über ihre Augen
fallen. »Vielleicht später«, sagte sie dann, »wenn alles vorüber ist.«
    Bevor er sich entschließen konnte, sie
zu fragen, was sie damit meine, war sie ins Haus und in ihr Zimmer
hinaufgeeilt.
     
     
    A ls Panezza gegen Abend, nachdem er sich
bei den Bekkers umgekleidet und mit einer Ausrede empfohlen hatte, die
bischöfliche Bibliothek betrat, fand er Henrici an ein Stehpult aus mattem,
unpoliertem Nußbaumholz gelehnt, das von einer linksseitig angebrachten
Leselampe mit grünem Schirm beleuchtet wurde. Der blasse, junge Kaplan, der ihn
über die breite Sandsteintreppe hinaufgeleitet hatte, zog hinter ihm die
gepolsterten Doppeltüren zu. Von den dunklen Wintervorhängen der Fenster, den
langen, wändefüllenden Zeilen der Buchrücken, die sich in Etagen aufwärts
türmten, und der Höhe des Raums ging eine strenge, aber nicht feierliche Stille
aus — die in sich ruhende Sammlung einer ganz dem Lesen und Meditieren
gewidmeten Welt. Die Decke war unbeleuchtet und lag im Dämmer, kein Laut kam
von außen, ein merkwürdig trockener, holziger Geruch hing in der Luft, kaum
spürbar, der von den alten Bänden und Buchdeckeln stammte.
    Panezza nahm sich nicht Zeit, sich auf
den ihm von Henrici angebotenen Ledersessel niederzulassen, er ging nach der
Begrüßung zweimal auf und ab, dann blieb er mit einem schweren Atemzug vor dem
Domherrn stehen, der immer noch an der Seite seines Stehpults lehnte und seine
Lesebrille auf die Stirn zurückgeschoben hatte.
    »Ich«, sagte Panezza, »bin der Mörder. Ich habe ihn umgebracht. «
    Seine Stimme hallte, da er in der
Erregung sehr laut gesprochen hatte, von den Wänden und von der Decke zurück,
so daß er zusammenschreckte.
    »Ich habe ihn auf dem Gewissen«, fügte
er leiser hinzu.
    »Sie wollen sagen«, erwiderte Henrici
nach einer Pause, mit einer ruhigen, gedämpften Stimme, nicht anders, als gelte
es, über eine kirchengeschichtliche Frage zu diskutieren, »daß Sie sich für den
Tod des jungen Bäumler irgendwie mitverantwortlich fühlen. So darf ich doch
wohl Ihre Äußerung verstehen. «
    »Nicht nur für seinen Tod«, sagte
Panezza, der sich nun doch in den alten, mit blinden Messingknöpfen
beschlagenen Backenstuhl gesetzt hatte.
    Henrici nickte. Dann zog er sich auch
einen Stuhl heran.
    »Ich dachte es mir schon«, sagte er.
    Panezza fuhr mit dem Kopf in die Höhe,
sah ihn an. »Was«, fragte er, »haben Sie sich gedacht?«
    »Nun«, sagte Henrici, ohne Lächeln,
aber mit einer begütigenden Leichtigkeit, »ich habe ein starkes Gedächtnis,
auch für Gesichtszüge, das sich manchmal ganz selbständig macht. Als ich den
jungen Mann — den Toten — in der Sakristei liegen sah — da kam er mir plötzlich
in irgendeinem Zug bekannt vor. Gleichzeitig wußte ich, daß ich ihn nie gesehen
hatte. Sie aber habe ich gesehen, als Sie selbst noch sehr jung waren. Das fiel
mir erst auf, als ich Sie heute morgen wiedersah — nach ziemlich langer Zeit.«
    »Sie haben recht«, sagte Panezza, »er
war mein Sohn.« Er schwieg, warf unwillkürlich einen Blick nach der hohen
ledergepolsterten Tür.
    »Es kann uns hier niemand hören«, sagte
Henrici, »ich habe dafür gesorgt, daß wir nicht gestört werden. Seien Sie
gewiß«, fügte er hinzu, »daß alles, was Sie hier aussprechen, unter dem Siegel
des Beichtgeheimnisses steht — auch wenn Sie sich nicht dem sakramentalen
Vorgang unterziehen.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Panezza, »Sie
wissen, ich bin kein großer Kirchenläufer, ich bin von Haus aus liberal
erzogen, Sie werden mich wohl unter die Kategorie der Freigeister einreihen —
und — wenn ich Sie bat, mich mit Ihnen aussprechen zu dürfen, so wird es

Weitere Kostenlose Bücher