Die Fastnachtsbeichte
für eine arme, ledige Mutter sorgt — und mit dem
Bäumler hatte ich leichtes Spiel... Hier aber beginnt meine eigentliche Schuld.
Ich wußte, daß sie den Bäumler verabscheute und haßte — sie hatte sich halt als
junges Ding nach einer Tanzerei mit ihm eingelassen, wie das so geht... Aber
einen anderen hätte ich schwerlich finden können. Sie machte mir eine
furchtbare, verzweifelte Szene, als ich ihr das erklärte, während sie den
Kinderwagen mit meinem kleinen Jeanmarie durch die Rheinauen schob« — (es war
im April, ging es ihm durch den Kopf, die Pappeln hatten kaum angesetzt, die Frösche
schrien) — »und sie hat schließlich nur um des Kindes willen nachgegeben, an
dem sie dann mit einer verstiegenen Affenliebe hing.
Ich sagte bereits, es kam nie ein
Verdacht auf. Es ist auch nie jemandem eine Ähnlichkeit zwischen Ferdinand und
mir aufgefallen — außer Ihnen — , mag sein, daß sie erst im Tod zutage getreten
ist, der ja die Züge eines Menschen gewissermaßen entblößt... Als ich an seiner
Leiche stand, war mir, als sähe ich ein Stück von mir selbst. —
Sie haben gehört«, fuhr er nach einer Pause
fort, »was ich heute über seine Erziehung, seinen Fehltritt und sein
Verschwinden erzählt habe. Das Entscheidende«, stieß er vor und wischte sich
das plötzlich schweißbedeckte Gesicht, »habe ich nicht erzählt.
Als nämlich die Veruntreuung bei seiner
Firma aufgedeckt wurde, noch bevor eine Anzeige gegen ihn ergangen war — da kam
er zu mir und bat mich um das Geld. Hätte man es zurückgestellt, so hätte sich
die Sache im Büro und mit seinem Chef noch regeln lassen, ohne daß er
gerichtlich verfolgt worden wäre. Ich habe ihm das Geld nicht gegeben. Ich habe
ihm gesagt, es sei jetzt genug und er solle verschwinden. Auf mich könne er
nicht mehr rechnen. Er wußte, daß das Verhaftung und Gefängnis bedeutete. Ich
wollte ihn loswerden, und jetzt war die Gelegenheit dazu. Er war nämlich schon
öfters mit Geldforderungen zu mir gekommen, und ich hatte ihm mehrmals aus
seinen Schulden und Schwierigkeiten herausgeholfen, zuletzt in einer recht
peinlichen Affäre mit einem Mädchen, das ihn verklagen wollte, weil er es um seine
Ersparnisse gebracht hatte; und dabei hatte er — ganz versteckt zuerst, dann
mehr und mehr — durchblicken lassen, daß er ein Recht darauf habe, daß ich ihm
helfen müsse. Er sprach es auch diesmal nicht aus, aber seine Art zu
fordern und zu verlangen, hatte etwas ausgesprochen Erpresserhaftes,
Gefährliches. Ich sagte mir damals, wenn ich ihm das Geld jetzt gebe, dann hat
er mich in der Hand, dann wird er es immer wieder versuchen, und dann treibt er
es immer ärger mit seinen Lumpereien, bis er doch einmal drinsitzt — ich hatte
auch dafür meine moralische Rechtfertigung bereit, aber die Wahrheit ist, ich
wollte ihn los sein. Er war unheimlich — wie seine Mutter als junges Ding — ,
man konnte sich denken, daß er auf Weiberleute gemein oder berauschend wirkte,
nein beides, eins durch das andere — und für mich war er eine ständige
Bedrohung.
Ich gab ihm grade so viel, daß er über
die Grenze kommen konnte, und ich hoffte, er werde nie wiederkehren. Als er tot
gemeldet wurde, war ich eher erleichtert — obwohl ich mir auch da schon hätte
sagen können, daß ich daran schuld bin — , aber ich sagte mir, aus dem wäre
doch nichts Gutes mehr geworden, und jetzt kommt er nicht mehr zurück.
Aber er ist gekommen und er wollte mir
an den Kragen — irgendwie muß er dieser Sache, die er vorher wohl nur geahnt
hat, sicher geworden sein. Er wollte mit mir abrechnen — hat er gesagt — und er
hat es getan... Denn der Ermordete, der Tote, zwingt mich zu etwas, was er
lebend nie vermocht hätte: meine Schuld zu bekennen... und ich frage mich,
frage Sie, genügt es, wenn ich das in der Geborgenheit einer vertraulichen
Aussprache, sozusagen im Schutze des Beichtstuhls tue? Kann ich noch weiterhin
den Ehrenmann spielen, den Repräsentanten einer moralisch unantastbaren
Gesellschaft, den Fürsten des lokalen Frohsinns, den König der Volksfeste, der
erlaubten und honorigen Lustbarkeit — mit einem solchen Brandgeschwür am Leib?
Muß ich nicht dem Gericht, wenn es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt, die
volle Wahrheit sagen — und mich vor aller Welt zu meiner Schande bekennen? Denn
der tote Ferdinand — wer immer ihn umgebracht haben mag — , ich habe ihn
doch in den Tod getrieben und, was schlimmer ist, ins Leben — aber an ihm klebt
die
Weitere Kostenlose Bücher