Die Fastnachtsbeichte
das Leben, wie’s Ihnen lieber ist — schon eine Buße
auferlegt — so schwer, wie sie kein Priester hätte erdenken können. «
»Sie meinen also...« sagte Panezza,
ohne den Satz zu vollenden.
»Das wissen Sie doch selbst«, sagte
Henrici.
Panezza schwieg. Dann lief er rot an,
seine Fäuste ballten sich. »Soll ich sie«, stieß er vor, »diesem Affen
überlassen, den ihre Familie, aus blödem Ehrgeiz, ihr aufschwatzen will?!«
»Wenn er ein Affe ist«, sagte Henrici
ruhig, »dann wird sie ihn nicht nehmen. Sie weiß, was sie tut. Und sie hat
Zeit. Sie ist erst neunzehn...«
Panezzas Hände lösten sich, hingen
herab.
»Denken Sie nicht«, fuhr Henrici fort,
»ich wolle den Altersunterschied betonen — das wäre das Wenigste... Aber das
Mädchen — sie würde einem Kampf ausgesetzt — einem Zwist mit all ihrer
gewohnten Welt —, dem sie in ihrem einfachen, lieben Herzen gar nicht gewachsen
ist. Sie würde ein Opfer bringen, das Sie niemals annehmen dürfen.«
»Vielleicht«, sagte Panezza verzagt,
»machen Sie sich doch keinen Begriff — von der Seelengröße dieses Mädchens.«
»Es kommt jetzt«, sagte Henrici mit
einer ernsten Herzlichkeit, »vor allem auf Ihre Seelengröße an.«
Panezza sah eine Zeitlang vor sich hin,
dann stand er auf, zog seinen Rock zurecht.
Auch Henrici stand auf, geleitete ihn
zur Tür. »Leben Sie wohl«, sagte er, ihm die Hand hinreichend. »Und vergessen
Sie nicht«, fügte er wie in einer plötzlichen Eingebung hinzu, »daß immer in
der Welt, auf jeden Menschen, eine Seele wartet, die seiner Hilfe bedarf.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Panezza, »für
das Gespräch.« Sie drückten einander kurz und fest die Hände, dann ging
Panezza.
» H aben
Sie von dem Mord gehört?« fragte das Dienstmädchen Bertel, als sie am
Dienstagmorgen dem Fräulein Bettine beim Frisieren half.
»Was für ein Mord?« fragte Bettine ohne
besondere Neugier.
Bertel berichtete, was in der Zeitung
stand, die, obwohl noch Fastnacht herrschte, an diesem Morgen zum erstenmal
wieder erschienen war.
Es sei — hieß es in einer kleinen
Randnotiz, neben den dick überschrifteten und reich illustrierten Schilderungen
des in diesem Jahr ungewöhnlich wohlgelungenen Rosenmontagszugs, die den
Großteil des Blattes füllten — am Samstagabend ein Mann (dessen Name nicht
genannt war) in der Uniform eines der angesehensten hiesigen Regimenter, als er
sich im Dom zur Beichte begeben wollte, von einem Unbekannten mit einem
italienischen Stilett erstochen worden.
»Ist das alles, was drinsteht?« fragte
Jeanmarie, der aus seinem nebenan gelegenen Ankleidezimmer, die Wangen mit
Rasierschaum bedeckt, hereingetreten war. — Auf der Rückseite des Anzeigers,
sagte die Bertel, stehe noch eine besondere Annonce der Kriminalpolizei, mit
einer Beschreibung der Mordwaffe und des dazugehörigen, gesuchten Futterals,
was Länge, Breite undsoweiter anlangt, samt einer Aufforderung, sachdienliche
Angaben, auch über verdächtige Personen, die um die fragliche Zeit in der Nähe
des Doms gesehen worden seien, zur Meldung zu bringen, besonders falls es sich
um unbekannte Italiener handle. Die Zeitung liege im Salon, und sonst, sagte
die Bertel, wisse sie nichts — beugte aber dabei ihr Gesicht tief über die
Frisur ihres gnädigen Fräuleins und war froh, daß der junge Herr, ohne
irgendeine Äußerung zu tun, zu seinem Rasierpinsel zurückkehrte. Ihr war
nämlich die Neuigkeit schon in der Frühe von einem Hilfsgendarmen des Bezirks
Walluf hinterbracht worden, der wußte, daß sie einen besonderen Spaß an
Sensationsgeschichten und aufregenden Ereignissen hatte, und sich damit bei ihr
beliebt zu machen hoffte — denn seit geraumer Zeit machte er ihr die Cour, ohne
bisher zu seinem Ziel gekommen zu sein. Die Bertel ihrerseits, ohne sich im
Moment etwas Besonderes dabei zu denken, hatte sich nicht enthalten können, dem
jungen Polizisten von dem plötzlichen Besuch der sizilianischen Verwandten zu
erzählen, und daß diese sich, was ihr erst im Erzählen wieder einfiel, am
Samstagabend bei ihrer unerwarteten Ankunft ganz sonderbar benommen hätte.
Der junge Mann hatte daraufhin recht
wichtigtuerisch sein Notizbuch gezückt, nach dem Namen des Gastes gefragt und erklärt,
das müsse er sofort seiner Behörde zur Meldung bringen. Dann war er gleich
gegangen, mit der Versicherung, sie mit weiteren Einzelheiten der
Mordgeschichte zu versorgen, sobald er was Neues erfahren habe. ›Der will sich
nur
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