Die Fastnachtsbeichte
Totenkapellchen beim Kirchhof aufgebahrt.
Da du nicht hier warst, habe ich wegen der Beerdigung alles Nötige veranlaßt,
auch mit dem Pfarrer gesprochen — die Beisetzung soll morgen nachmittag in
aller Stille stattfinden. Natürlich habe ich auch einen Kranz bestellt, und
einfach ›Familie Panezza‹ auf die Schleife drucken lassen. Oder hast du einen
besonderen Wunsch?«
»Warum soll ich einen besonderen Wunsch
haben«, sagte Panezza, ohne ihn anzusehn.
»Das weiß ich auch nicht«, sagte
Jeanmarie, »ich habe nur gefragt.«
»Danke«, sagte Panezza kurz.
»Ein etwas makabrer Auftakt zu einem
Maskenball«, murmelte er dann, nahm noch ein Glas.
»Hast du etwas Neues vom Stand der
Untersuchung gehört?« fragte Jeanmarie in beiläufigem Tonfall.
»Nein«, sagte Panezza, und sah ihm
plötzlich grade in die Augen, »aber ich hielt es für meine Pflicht, den
Kriminalrat Merzbecher vom Besuch Violas zu verständigen. Nicht daß ich dächte,
sie hätte irgend etwas damit zu tun, das ist natürlich Unsinn, aber nachdem
eine öffentliche Aufforderung ergangen ist, daß alle kürzlich zugereisten
Italiener sich melden sollten, schien es mir einfach korrekt.«
Jeanmarie fühlte eine lähmende Kälte in
der Zwerchfellgegend.
»Das hätte schließlich«, sagte er in
dem gleichen, beiläufigen Tonfall, »auch noch bis morgen Zeit gehabt.«
»Nun ja«, sagte Panezza, »ich rief ihn
grade an, um nach dem Gang der Dinge zu fragen. Da ergab sich das von selbst.
Er sagte, er könne mir noch nichts Näheres mitteilen, aber sie stünden im
Begriff, den Clemens freizulassen.«
»Dann müßten sie doch«, sagte
Jeanmarie, mit einer großen Bemühung, seine Stimme zu beherrschen, »eine andere
Spur gefunden haben.«
»Möglich«, sagte Panezza abwesend,
»oder sein Alibi für die genaue Zeit hat sich auf irgendeine Weise erhärtet.
Dr. Merzbecher sagte, wir würden es bald erfahren.«
Jeanmarie antwortete nicht, sie standen
noch einen Augenblick einander gegenüber, jeder von seinen eignen Gedanken
gequält. Dann gingen beide hinauf, mehr wie wenn man sich zu einem Begräbnis
als zu einem Maskenfest umzukleiden hätte.
Im Umkleidezimmer der jungen Damen
droben ging es indessen sehr bewegt und lebhaft zu. Bettines aufgeregtes
Kichern und Schwatzen schallte gedämpft durch die Türen, untermischt mit den
verzückten, heiseren Krählauten der taubstummen Nähmamsell. Dann und wann
jauchzte ein Lachen von Bertels frischer Mädchenstimme auf — denn auch sie
durfte heute, zum erstenmal in ihrem Leben, gemeinsam mit den herrschaftlichen
Fräuleins den Ball besuchen. Bettine aber hatte beim Abendessen einen
plötzlichen Einfall gehabt, wie man diesem Tanzvergnügen — machte man es schon
mit — einen besonders phantasievollen und fastnachtsmäßigen Anstrich geben
könne — vielleicht hatte sie ähnliches von früheren Ballgeschichten gehört.
Denn die Geschichten, die kleinen Romanzen und Abenteuer, die sich dabei
abspielten, das Sich-Verstellen, Necken und Nasführen und die gegenseitige
Überlistung waren ja der Witz und das Salz dieser ganzen Vermummung, und jeder
war bemüht, sich möglichst so zu maskieren, daß er auch von seinen nächsten
Bekannten und Angehörigen nicht erkannt oder aber mit anderen verwechselt
würde. Jahrelang gingen dann noch die Anekdoten um von den besonders gelungenen
Täuschungen, Späßen, Erfolgen, Reinfällen oder Blamagen, die sich in einer
solchen Ballnacht ergeben hatten — so etwa, wenn ein Ehemann, seine eigne Frau
nicht erkennend, wohl aber von ihr gekannt, ihr wie toll nachstellte und
womöglich noch, im Glauben, er habe eine ganz fremde Eroberung gemacht und sich
selbst als einen anderen ausgebend, ein verschwiegenes Rendezvous mit ihr
ausmachte, um dann bei der Demaskierung von der Triumphierenden verlacht,
verspottet, bestraft und schließlich begnadigt zu werden, oder ähnliches in
ungezählten Varianten. Der große Jux und auch der Zauber dieser
stadtumfassenden Maskenfeste bestand eben darin, daß man sie nicht als eine
plumpe Gelegenheit zu erotischen Intimitäten, sondern als ein betörendes
Wechselspiel empfand, eine improvisierte, extemporierte, freizügige
Laienkomödie mit allseits vertauschten Rollen, bei der jeder nach besten Gaben
und in vollster Laune mitzuwirken hatte.
Die Herren natürlich, die sich ungern
blamieren oder vor ihren Damen bloßstellen wollten, versuchten auf jede Weise,
deren Kostümierung, mit der eine riesige Geheimnistuerei getrieben
Weitere Kostenlose Bücher