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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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meiner Rolle fallen — ich aber sage Ihnen,
ich hasse, ich verabscheue diese Rolle, ich möchte endlich aus ihr heraus — aus
allem heraus «, rief er, plötzlich fast schreiend.
    »Ich bin ganz allein«, sagte er dann,
wie zur Entschuldigung, »mit meiner Frau verbindet mich nichts, von meinen
Kindern empfinde ich spöttische Ablehnung oder Gleichgültigkeit. Ich brauche
keine Brücken abzubrechen, weil es für mich keine gibt. «
    Henrici zog seine starken, weißen
Brauen zusammen, für einen Augenblick war er der strenge Beichtiger, als den
man ihn fürchtete — der den Menschen all ihre Schwächen und Fehler zugestand,
aber keine Ausflucht und keine Vertuschung duldete.
    »Ihr Gewissenskonflikt«, sagte er
scharf, »ist also mehr ein Ventil — um sich aus einem Leben zu befreien, dessen
Sie überdrüssig sind.«
    »Aus einem liebeleeren, ungeliebten
Leben«, sagte Panezza leise.
    »›Aus allem heraus‹«, wiederholte
Henrici, fast zornig, »wer möchte nicht einmal aus allem heraus, was ihn
gebunden hält... Ein schlechter Priester, der nicht einmal aus der Kutte
springen will — weil ihn die Last seines Amtes, die Last Gottes zu hart auf den
Schultern drückt... Aber er muß weiter tragen, wie der Sankt Christoph
sein schweres Kindlein durch den reißenden Fluß — , denn er tut es in
Stellvertretung dessen, der Himmel und Erde trägt... Und ich sage Ihnen eines: jedes Amt — nicht nur das geistliche, auch das weltlichste — , jeder Stand, jede
Stellung in der Welt, enthält eine solche Stellvertretung, die man nicht
einfach aufkündigen kann.«
    »Auch nicht«, fragte Panezza, »um der
Liebe willen?«
    »Das sind Worte«, sagte Henrici
trocken, »was meinen Sie damit?«
    Panezza brach plötzlich zusammen, ohne
daß er ein Glied rührte oder seine aufrechte Haltung in dem Lehnstuhl
veränderte. Es sah aus, als werde er einen Blutsturz oder einen Schlaganfall erleiden,
seine Adern traten an den Schläfen dick hervor, seine Stirn wurde dunkel, und
sein Hals schwoll an. Dann wurde er totenblaß. »Ich wollte nicht davon
sprechen«, sagte er mit großer Beherrschung, »aber ich wäre wohl — ohne das —
gar nicht hierher gekommen... Sie hängt an Ihnen — Sie bedeuten ihr mehr als
Elternhaus und Familie...«
    »Von wem reden Sie jetzt?« fragte
Henrici betroffen.
    Panezza neigte sich zu ihm vor,
flüsterte einen Namen, so als scheue er sich, ihn auch unter vier Augen laut
auszusprechen.
    »Glauben Sie mir«, sagte er dann, sich
zurücklehnend, »es ist zum erstenmal in meinem Leben, daß ich — so empfinde...«
    »Ja, ja«, sagte Henrici — und seine
Augen wurden flaumig, wie wenn man von einem Nestvogel spricht, »sie war mein
Taufkind und sie ist bei mir zur Kommunion- und Firmstunde gegangen — das ist
noch gar nicht so lange her... Sehen Sie«, sagte er dann, ohne wieder in seine
vorherige Strenge zu verfallen — »ich habe doch gespürt, daß es nicht nur der
Bäumler war, was Sie hierher getrieben hat...«
    »Mein Gott«, murmelte Panezza, »es kam
plötzlich alles zusammen...«
    Henrici schwieg, wartete.
    »Gleich nach der Wahl«, sagte Panezza,
mit dem Gesicht eines trotzig verzweifelten Knaben, »zu unsren Karnevalsämtern,
die am ii. November stattfand, wußten wir, daß es uns ernst war... Es war immer
ernst, es war nie eine Spielerei, oder ein Leichtsinn — .
    Sie können sich nicht vorstellen, was
wir in diesen Monaten durchgemacht haben, in denen wir immerzu gemeinsam
repräsentieren, das strahlende Paar spielen mußten — mit dieser Not im Herzen —
und uns höchstens einmal für eine viertel oder halbe Stunde allein sehen und
aussprechen konnten... Ich versichere Sie«, sagte er mit einem entwaffnenden
Ungeschick, »daß — nichts geschehen ist. Nichts, was ich nicht ihr, auch Ihnen
gegenüber, verantworten könnte.«
    Henrici hatte wie im Nachdenken,
vielleicht auch in einer Art von Geniertheit, die Lider gesenkt. Jetzt hob er
sie wieder. In seinem Gesicht war eine Veränderung vorgegangen. Während seine
Züge sich in lebendiger Anspannung und Anteilnahme verjüngten, trat in seine
klaren, blaßgrauen Augen ein Ausdruck unermeßlichen Alters, dem aber nichts
Müdes oder Greisenhaftes innewohnte. Es war das immer gegenwärtige Alter des
Priesterstandes, das Alter der Kirche, das Alter des Menschengeschlechts, des
Wortes und des Gedankens.
    »Da sind Sie mit einer alten Schuld
hierher gekommen«, sagte er leise, »und da hat Ihnen der Himmel — oder nennen
Sie es das Schicksal,

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