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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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glättete er ihn wieder und steckte ihn sich wie ein Amulett
unters Gewand — während Jeanmarie, dem er nichts gesagt hatte, sich in der
einströmenden Menge von ihm verlor.
    Inzwischen war der Wagen zu dem Gutshof
zurückgekehrt und hatte die jungen Mädchen aufgenommen, die sich, über ihren
Kostümen in warme Abendmäntel oder Pelze gewickelt, lachend und schwätzend
zusammendrängten. Um zur Hauptstraße zu kommen, mußte man auf dem holprigen
Fahrweg am Rande des Dorfs und an der etwas außerhalb auf einer Anhöhe
liegenden Kirche mit dem daran anschließenden Friedhof vorbei, an dessen alte,
bröcklige Mauer ein kleines Kapellchen, zur Aufbahrung und Einsegnung der
Toten, vorgebaut war. Bertel, die ihre Augen stets überall hatte, bemerkte mit
Staunen, daß dort, im Leichenhäuschen, Licht brannte, was zu dieser Stunde ganz
ungewöhnlich war... Von einer Leiche im Dorf hätte sie wohl gewußt. Während der
Wagen, da es dort besonders tief ausgefahrene Radrinnen gab, langsam
vorbeikurvte, trat aus dem von flackrigem Kerzenlicht erhellten Kapellchen eine
unförmige, dunkle Gestalt und reckte plötzlich, mit einem wüst geschrienen,
heiseren Fluchwort zwei drohende Krallenhände gegen die Mädchen aus. Viola
schrie auf und klammerte sich an Bettine, der Fahrer schimpfte laut, weil es
ihm das Steuer verriß.
    »Die Bäumlern«, sagte Bertel befremdet,
»was tut denn die jetzt hier?« Denn von der Rückkehr und der Heimführung des
Ferdinand hatte auch sie, da ihr Wallufer Hilfsgendarm wohl den Rest des Tages
im Dienst gewesen war, noch nichts erfahren.
    Bettine schob das Wagenfenster herunter
und ließ die Luft herein — der Wind hatte aufgefrischt, die Wolken waren
verflogen, und der Himmel blitzte von unruhig zuckenden Sternen. Kurz bevor sie
die Hauptstraße erreichten, sah man im Strahl der Scheinwerfer eine dorfwärts
wandernde Männergestalt, die aber sofort vom Weg herunter und in den Schatten
der Bäume trat. Es war Bertel gewesen, als hätte sie die Uniform eines Soldaten
erkannt. Jetzt aber gab der Fahrer auf der glatten Rheinstraße Gas, und bald
zeigte sich über dem dunklen Fluß der blendende Widerschein von der
illuminierten Narrhalla.
     
     
    A ls man Clemens gegen Abend aus der
Untersuchungshaft entlassen und ihm seine Uniform zurückgegeben hatte, war ihm
auch mitgeteilt worden, daß die Leiche des Ferdinand inzwischen nach
Nieder-Keddrich verbracht worden war. Der Kriminalrat selbst hatte ihm, in
einem gelben Couvert, das Papier ausgehändigt, das die Entlassung bestätigte,
weil der Verdacht gegen ihn fallengelassen worden sei — das sollte er dann bei
seiner Rückmeldung in der Kaserne abgeben. Auch wurden ihm seine Habseligkeiten
zugestellt, das Soldbuch, der Urlaubspaß, ein wenig Kleingeld in einem alten
Lederbeutel, sowie die beiden Goldstücke, welche die Rosa gestern, am Schluß
der Untersuchung, für ihn deponiert hatte. Der Kriminalrat drückte ihm mit ein
paar freundlichen und aufmunternden Worten die Hand, deren Sinn er kaum
erfaßte, da er auf dem Rücken seines Uniformrocks das kleine Loch gesehen
hatte, nicht viel größer als der Einschnitt von einem Taschenmesser, an dessen
Rändern nur ein klein wenig schwärzliches Blut klebte. Seines Bruders Blut.
Während er ohne Zögern den Weg nach Hause einschlug — denn sein Urlaub lief
noch bis morgen früh um sechs ging es ihm durch den Kopf, er müsse sich bei der
Mutter Nähzeug geben lassen, oder sie bitten, den Schaden in seinem Rocktuch
auszubessern. Daß ihm, wegen des Herleihens der Uniform und überhaupt, noch
eine militärische Strafe bevorstand, wußte er wohl, aber er dachte nicht daran.
Er konnte nichts denken. Er fühlte sich auch kaum erleichtert über seine
Befreiung von dem Tatverdacht, den er nie in seiner ganzen Schwere begriffen
hatte. Denn er hatte es ja nicht getan. Nur daß der Ferdinand, der grade wieder
ins Leben und zu ihm Zurückgekehrte, nun wirklich tot war, spürte er wie einen
Stein in seiner Brust und einen brennenden Schmerz hinter den Augen.
    Erst als er den blassen, zitternden
Lichtschein in dem vergitterten Fenster des Totenkapellchens sah, wurde ihm
klar, daß ja der Ferdinand dort aufgebahrt sei, und daß er wohl auch die Mutter
dort finden werde. Eine Zeitlang blieb er auf der verwitterten Stufe vor der
geschlossenen Türe des Leichenhäuschens stehn. Es war ganz still, aber ihm war,
als höre er ein leises Murmeln von drinnen. Er nahm die Mütze ab, der Nachtwind
strich ihm kühl um die

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