Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
Vom Netzwerk:
Schließkorb aus Strohgeflecht, mit einem Ledergriff.
Die Tür wurde von innen laut hinter ihr zugeschlagen. Sie wandte sich nicht
zurück — sie schaute nur suchend nach den beiden abzweigenden Seitengassen
hinüber, da sie wohl nicht genau wußte, wo er stand, und Clemens trat ein wenig
aus dem Schatten hervor, ohne sich in den Laternenschein zu begeben.
    Sie kam rasch herüber und wechselte den
Schließkorb von der rechten in die linke Hand. Sie trug dünne Wollhandschuhe,
ihm hatte man seine weißen Zwirnhandschuhe, mit dem ausgestopften Schwurfinger,
wiedergegeben, und ihre Hände fanden sich und hielten sich fest, ohne daß sie
die Handschuhe abnahmen. So begannen sie wortlos zu gehen, Rosa führte den Weg,
und auch das war für ihn, als wäre es schon immer so gewesen, oder sei so
bestimmt, und werde immer so sein. In einer Querstraße steuerte sie auf ein
Haus zu, das auf einem erleuchteten Glasschild die Aufschrift ›Hotel‹ trug.
Unten schien eine Wirtschaft zu sein, aus der verworrenes Lärmen und Singen
tönte. Überm Eingang war ein großer schräger Schiffsanker gemalt, darunter
stand: ›Gasthaus Zum Anker, Treffpunkt der Schlepperkapitäne aller Länder‹.
    Das Mädchen trat nicht dort ein, sie
führte ihn um das Haus herum, das in einem sehr engen, dunklen Sackgäßchen
einen Hintereingang haben mochte. Erst hier blieb sie stehn, schaute ihm ins
Gesicht und legte den Kopf zurück. Da küßte er sie auf den Mund.
    »Ich geh nicht mehr dorthin«, sagte sie
dann, an seine Schulter gelehnt — »sie kann mich nicht zwingen. Mein Zimmer ist
für den ganzen Monat bezahlt, und sonst bin ich ihr nichts schuldig.«
    Er sprach nichts, nickte nur.
    »Bleib hier stehn«, flüsterte sie, »ich
hole dich gleich.« Dann verschwand sie in der dunklen, schmalen Hintertür.
    Es mußte nahe beim Winterhafen sein,
man hörte ein Schiff tuten, es roch nach Rheinwasser und Teer.
    Die Tür ging wieder auf, im Gang
brannte jetzt ein Gaslicht, sie war allein, hielt einen Schlüssel in der Hand,
führte ihn eine enge Holztreppe hinauf.
    Auch im Zimmer war eine Gasflamme, die
leise zischte und sang. An der Wand stand ein schmales Bett, in der Ecke ein
Waschgestell, ein einzelnes Fenster ging wohl zur Straße hinaus.
    Sie stellte den Schließkorb ab, hängte
ihren Mantel auf einen Haken an der Tür, er hängte seine Mütze dazu, dann
setzten sie sich nebeneinander auf den Bettrand, ohne sich anzufassen, sie
küßten sich jetzt auch nicht. Nach einer Zeit aber, allmählich, während sie leise
seinen Namen nannte, zog sie erst sich, dann ihm die Handschuhe ab, er ließ es
geschehen, sie streichelte immerzu seine rechte Hand, und schließlich berührte
sie ganz zart mit den Lippen seinen verkrüppelten Finger. Er zog die Hand nicht
zurück, ihm war gut und leicht ums Herz.
    Und ganz ohne Mühe oder Überlegen, so,
als wüßten sie schon das meiste voneinander, fingen sie langsam an, sich das
und jenes zu sagen, von dem, was ihnen das nächste und wichtigste in ihrem
Leben war und was wie von selbst aus ihren Gedanken und auf ihre Lippen trat.
    In diesem Gasthaus, sagte sie, kenne
sie die Wirtin, das sei eine anständige Frau, sie habe mittags oft hier
gegessen. Die werde ihr jetzt auch ein Verdienst verschaffen, vielleicht zuerst
in einer Wäscherei, denn nach der Fastnacht gäbe es viel zu waschen, dann
vielleicht in einem Geschäft. Sie hätte schon lange dort weg gewollt. Ein
bißchen hätte sie sich gespart, und jetzt noch das Geld von ihm, damit könne
sie sich ein kleines Zimmer mieten, wo er immer bei ihr sein könne, wenn er
Urlaub habe.
    »Mit Urlaub«, sagte der Clemens,
»wird’s nicht viel werden jetzt — mehr mit Striche kloppen.« Sie würden ihm
wohl noch eine Strafe geben, wegen der Uniform.
    Das solle er sich nicht zu Herzen nehmen,
sagte sie, er sei doch im dritten Jahr, da wär es ja bald vorüber.
    »Ja«, sagte Clemens, »zu Ostern ist es
herum.« Aber er wäre wohl jetzt Gefreiter geworden — und er hätte auch schon
daran gedacht, dabei zu bleiben, als Unteroffizier.
    »Aber nein«, sagte sie lebhaft, »beim
Militär, das ist doch nichts, kein rechter Beruf und keine Zukunft, du warst
doch beim Sägewerk und kennst dich aus mit Maschinen — ein Mann wie du«, sagte
sie, »der kann es doch zu was bringen!«
    »Ja«, sagte er mit Überzeugung, »das
kann ich auch!« - und er wußte in diesem Augenblick, daß er es könne, ein Mann
wie du hatte sie gesagt — daß er alles könne, wenn sie nur bei ihm

Weitere Kostenlose Bücher