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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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Stirn, dann machte er das Kreuzzeichen und drückte, mit
steifen Fingern, die Türklinke herab.
    Die Bäumlern kniete, mit dem Rücken zur
Tür, vor einem offenen Sarg. Was darin lag, konnte er nicht sehen. Der Sarg stand
quer vor dem kleinen Steinaltar. Zu seinen beiden Seiten, und rechts und links
auf dem Altar, brannten je zwei große Wachskerzen. Sonst brannte nur das kleine
rote Öllämpchen, das von der Decke hing. Der Luftzug fuhr beim Türöffnen über
die steilen, schmalen Kerzenflammen hin und wehte sie fast um, so daß Clemens
rasch die Türe hinter sich zuzog. Die Bäumlern regte sich nicht, drehte sich
nicht herum, murmelte auch nicht mehr, vielleicht hatte sie bei seinem Eintritt
aufgehört. Plötzlich aber — ohne den Kopf zu wenden, ohne daß sie ihn gesehen
und erkannt haben konnte — sagte sie mit einer lauten, harten Stimme: »Heb dich
hinweg!«
    Der Clemens stand wie erstarrt,
unwillkürlich hatten sich seine Hände gefaltet. Er atmete nicht, und es verfloß
die Ewigkeit einer Minute.
    »Heb dich hinweg!« sagte die Stimme
wieder, klar und ohne Erbarmen.
    »Mutter«, flüsterte er, und es schoß
ihm wie eine Hoffnung durch den Kopf, daß sie ja gar nicht wisse, wer eingetreten sei, daß sie ihn vielleicht für einen anderen halte — für einen
bösen Geist oder den Teufel...
    »Ich bin es, der Clemens«, sagte er
dann, vor dem Laut seiner Worte erschreckend.
    Keine Antwort kam, die Knieende regte
sich nicht.
    Da wagte er, langsam, auf den
Fußspitzen, ein paar Schritte zu ihr hin. Aber die Stimme hieb ihn zurück.
    »Kain«, sagte sie schneidend, »wo ist
dein Bruder Abel?«
    Und plötzlich warf sie ihren Kopf herum
und starrte ihm ins Gesicht mit heißen, trockenen, rotgeränderten Augen, in
denen ein böses, furchtbares —ja ein lustvolles Glitzern zuckte.
    »Hinweg!« fauchte sie grausam, ihre
Lippen wurden naß dabei, es war, als spucke sie ihn an.
    Clemens duckte den Kopf. Kein Gedanke
an Abwehr, an Widerspruch, an Empörung kam in ihm auf. Statt dessen füllte sich
sein leeres Herz und seine hilflose Seele mit einem immer schwereren Empfinden
von Schuld und gerechter Strafe.
    Täppisch kramte er in seiner
Hosentasche und brachte die beiden Goldstücke hervor, dann trat er noch einen
Schritt näher und hielt sie ihr auf der offenen Handfläche entgegen. »Fürs
Begräbnis«, stammelte er töricht.
    Da hob sich die gelbe, von Dampf und
Seifenwasser verquollene Frauenhand, und schlug mit harten Fingern auf die
seinen. Hell klirrend fielen die Goldstücke zu Boden.
    »Judas«, zischte die Stimme, »Judas!
Behalte dein Blutgeld.«
    Dann wandte sich die Bäumlern zu dem
offenen Sarg zurück, auf den langsam, wie ein sich ablösendes Stück Mauerwerk,
ihr Kopf herabsackte.
    Clemens bückte sich und nahm die
Goldstücke auf, er tat es demütig und ohne zu wissen warum, wie wenn man etwas
aufhebt, das man zerbrochen hat. Dann ging er, und zog mit Vorsicht die Tür
hinter sich zu.
    Langsam, mit breiten Reiterschritten,
stapfte er die dunkle Straße zum Rhein hinab. Als sei er selbst aber ein schwer
gesatteltes Packpferd, so preßte auf seinem Rücken die unbegreifliche Schuld.
    Er hatte, ging es mühsam in ihm herum,
seinen Bruder nicht behütet. Er war ihm willfährig gewesen, sein Leben lang,
schwach und feig wie ein Götzendiener, er hatte zu ihm, dem Jüngeren, wie zu
einem Abgott aufgesehn, auch wenn er unrecht tat, und ihm bis zum Ende
gehorcht, ihn aber nicht vor seinem Ende bewahrt. Er hatte ihn geliebt. Jetzt
war er von seinem Grabe fortgewiesen — wohin?
    Vom Ufer hörte er das schleifende
Ziehen und Rollen des Stroms, und das leise Gurgeln und Glucksen, mit dem
einzelne Wellen an die vergraste Böschung und unter die Wurzelklumpen der
Weidenbüsche spülten. Er blieb stehen, betastete mit der Stiefelspitze einen
schweren Stein, der im Straßengraben lag, bewegte ihn mit dem Fuß hin und her.
    »Mit dem um den Hals«, sagte er vor
sich hin, »da käme man nicht mehr hoch. Ein Toter, heißt es, zieht oft den
andern nach sich.«
    Er bückte sich, um den Stein aufzuheben
und mit seinem Koppel festzumachen.
    Da spürte er aber die beiden kühlen Goldstücke,
die er — ohne es zu wissen — noch in der Hand hielt, so wie er sie von dem
staubigen Boden des Leichenhäuschens aufgeklaubt hatte. Die konnte er doch
nicht mitnehmen, ging es ihm durch den Sinn — so viel Geld.
    Er ließ den schon halb gehobenen Stein
in den Schlamm zurückplumpsen, der gierig aufschmatzte.
    Dann begann er zu

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