Die Fastnachtsbeichte
gehen, stromauf, er
ging und ging, immer rascher, in Richtung auf die Stadt, noch wußte er nicht,
daß er ein Ziel hatte, noch dachte er nichts, doch war es in ihm wie der Drang eines
Fisches, der in stetem bewußtlosem Zug aus den tiefen, vernichtenden Wässern in
seichte Bäche muß, die seinen Laich und sein Leben bewahren, es war wie der
Trab hungernder Rudel vor Schneestürmen her, er hatte kein Gefühl, keinen
Willen, doch es trieb ihn, als wäre ein Saatwind hinter ihm drein, dem Schoß
und den Furchen der Rettung entgegen, so wie es ihn vorher zur Mutter und zu
dem Toten hingetrieben hatte.
Auf der Rheinbrücke blieb er stehn,
starrte in den strahlenden Lichterglanz um die Stadthalle her, von der man
Musik und Jubel hörte.
›Wo geh ich denn hin?‹ fragte er sich
plötzlich. ›Ja, wegen dem Geld‹, dachte er laut. ›Das soll sie wiederhaben.‹
Er vermied es, am Dom vorbeizugehn,
blieb auf der Rheinstraße, bis er zum alten Holzturm kam. Von dort wandte er
sich in die schwach beleuchtete Schlossergasse und näherte sich langsam dem
Kappelhof.
Es war dort ziemlich still an diesem
Abend, die ausklingende Fastnacht sog alles nach Lustbarkeit drängende Leben in
die Mitte der Stadt und ihre lauten Vergnügungsplätze hinein.
Clemens blieb im Schatten einer
Seitengasse stehn, von wo er die Reihe der rot beleuchteten, groß numerierten
Häuser und auch den Eingang des Hauses Nr. 14 sehen konnte.
Wie immer schlenderten ein paar Gruppen
unentschlossener junger Leute durch die Straßen, blieben mit einem Witzwort
stehen, wenn sich da und dort eine Tür oder ein Fenster öffnete und ein nackter
Arm ihnen zuwinkte oder aus dem Spähgitterchen der Türen, hinter dem die alten
Pförtnerinnen saßen, ein geflüsterter Zuruf drang, und verschwanden dann wieder
nach einigem Hin und Her. Wie immer schritt von Zeit zu Zeit eine Männergestalt
mit hochgestelltem Mantelkragen, tief in die Stirn gedrücktem Hut, rasch und
als gelte es eine Bestellung zu erledigen, auf eine der Türen zu, hinter der
sie hastig verschwand. Auch lungerten wie immer ein paar Halbwüchsige
schweigend in den Seitenstraßen herum, drückten sich scheu hinweg, wenn das
gelangweilte Polizistenpaar um die Ecke schlurfte, kamen nach seinem
Verschwinden wie Nachtfüchse wieder hervor und starrten aus schwarz umränderten
Augen zu den geschlossenen Fenstern hin, als könnten sie die Vorhänge
weggucken.
Ein solcher Bursch mit knöchelhohen
Hosen und einer Schifferjacke hatte lange neben Clemens in der Seitengasse
gestanden und an einem ausgegangenen Zigarettenstümpchen gesaugt. Schließlich
sprach Clemens, der in seiner Uniform nicht selbst hinübergehen konnte und sich
auch nicht in das Reich der Madame Guttier getraut hätte, ihn an. Er gab ihm
fünfzig Pfennige und versprach ihm noch eine ganze Mark für die Besorgung, was
für den Jungen eine fürstliche Prämie war. Clemens hatte die beiden Goldstücke
in sein Taschentuch gewickelt und in das große gelbe Couvert gesteckt, in dem
man ihm seinen Entlassungsschein übergeben hatte, dann das Couvert fest
zugeklebt und dem Boten aufgetragen, daß er es nur persönlich, auch wenn er
warten müsse, an Fräulein Rosa in Nr. 14 übergeben dürfe, worauf die Rosa dann
ihren Namen auf das leere Couvert schreiben und ihm zurückschicken solle, damit
er auch wisse, daß sie die Sendung richtig erhalten habe, und sie nicht von dem
Boten veruntreut worden sei. Was in dem Umschlag und in dem Taschentuch
verborgen war, sagte er ihm natürlich nicht. Er solle nur sagen, es sei von dem
Dragoner.
Es dauerte nicht lang, bis der Junge
wiederkam. Er brachte das leere Couvert zurück, auf dem nichts geschrieben
stand. Aber das Mädchen habe gesagt, er solle warten.
»Auf was«, fragte Clemens verstört.
»Auf sie natürlich«, sagte der Junge,
mit einem neugierigen Grinsen, »sie käme dann selbst.«
Clemens gab ihm die Mark, ohne ihn
anzusehn, dann trat er tiefer in den Schatten und wartete. Er wußte nicht, wie
lang — vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht kürzer, vielleicht mehr. Ihm
war zu Mut, als hätte er schon immer so gestanden, genau so, an dieser
Gassenecke, als wäre alles schon einmal gewesen oder würde immer wieder so
sein, und er spürte ein leises, kühles Schwindelgefühl, ohne daß ihm bang oder
schwach war, mehr so wie wenn man träumt.
Dann ging im Haus Nr. 14 die Türe auf,
und die Rosa trat heraus, gekleidet wie beim Gericht am Montagmorgen, doch in
der Hand trug sie einen
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