Die Fastnachtsbeichte
zu machen, denn seit dem abendlichen
Gespräch mit Panezza glaubte er die Not, die Gefahr, in der sie schwebte, fast
riechen oder schmecken zu können, wie das schwelende Brenzeln eines noch nicht
entdeckten, anknisternden Feuers hinter Wandgebälk... Hastig begann er — und da
er laut sein mußte und immer andere Masken vorbeikamen, auf italienisch — , in
sie hineinzureden, stieß alles vor, was er wußte oder zu wissen meinte, er
sprach von Flucht und Versteck, bot ihr Geld, Hilfe, Begleitung... Sie aber
schüttelte nur den Kopf, daß die dunklen Drehlocken flogen — ihm war, als höre
er hinter ihrer Larve ein leises, zärtliches Lachen — und dann geschah etwas,
was er nie erwartet, vielleicht heimlich ersehnt, aber in diesem Augenblick
nicht einmal gewünscht hatte.
Plötzlich schob sie die Larve so weit
vom Kinn zurück, daß ihre Lippen frei wurden, mit der andren Hand lüpfte sie
rasch den seidenen Lappen, der seine Halbmaske nach unten abschloß — und preßte
kurz, heiß, heftig, ihren Mund auf den seinen. Er fühlte, sekundenlang, den
feuchten Stachel ihrer Zungenspitze, den Druck und die Schneide ihrer Zähne,
die saugende Kraft ihres Atems — dann hatte sie schon, mit einem Ruck ihres
Nackens, die Larve wieder geschlossen, und ihr linker Arm umschlang ihn zum
Tanz, während die Finger ihrer rechten Hand sich fest mit den seinen verklammerten.
Er schwang sie herum, betäubt,
überwältigt, hingerissen von ihrer Liebesgewalt — all die Furcht, die
Besorgnis, die eben noch in ihm gebrannt hatte, schien verflogen, oder ins
Grundlose versunken — er spürte durch den leichten Stoff das Andrängen ihrer
Brüste, er spürte den zarten Porenduft ihrer Achselhöhlen, den Dufthauch
erregter Weiblichkeit — wie er ihn schon auf dem Meßplatz, als sie ihn durch
die Zeltgassen zog, zu ahnen glaubte — , es war ihr Duft, ihr Lebenshauch — es war ihre nackte Hand, ihr holdes, betörendes
Wesen, das sich ihm öffnete, verschenkte, erschloß — nicht mehr in sich
gefangen wie in einem unsichtbaren Fischglas, sondern weit und frei aufgetan — ihm aufgetan, in einer unverhofften Antwort auf seinen zaghaften Ruf.
»Liebst du mich?« fragte er sinnlos —
mit seiner natürlichen Stimme — in den schmalen Lippenspalt ihrer Larve hinein,
und sie faßte ihn fester und schmiegte die Seite ihres Kopfs im Tanzen an seine
Schulter.
»Viola!« rief er laut, in einer
triumphierenden Seligkeit, ihm war, als sei sie verwandelt, entzaubert, von
einem Bann gelöst, und er war der Prinz, der Märchenritter, der die Dornhecke
durchbrochen, den Drachen getötet, den Dämon vertrieben hatte... Ein wilder,
unbändiger Stolz hatte ihn gepackt, ein Rausch von Selbstgefühl und Sicherheit,
und eine Lust am Dasein, die seine Jugend noch nicht gekannt hatte — denn in
Wahrheit war er der Verwandelte, der Entpuppte, wie aus einer Hülle
gebrochen. Jetzt war er nicht mehr der scheu verquälte, von nervöser Unrast
durchflackerte, mit morbiden Ängsten belastete Schatten, als der er in den
Sälen umhergegeistert war, sondern der Sohn seines Vaters, ein junger Mann von
Geblüt, ein Liebhaber, ein Besitzergreifender, ein leichtherziger,
leichtmutiger Kavalier, und er hielt sie umarmt und umfangen, mit einer Kraft
des Begehrens, die allen Genuß der Liebe vorausfühlte und einbeschloß.
Im Hauptsaal wurde durch ein Megaphon
wie das eines Dreimasterkapitäns der große Schlußwalzer ausgerufen, zu dem die
Damen ihre Tänzer zu wählen hatten und der die letzte Viertelstunde bis zur
allgemeinen Demaskierung ausfüllte. Gleichzeitig begann die ölige Stimme des
städtischen Operettentenors, der neben dem Orchester postiert war, mit dem
Refrain des allbekannten Schlagers aus der ›Lustigen Witwe‹:
Haab-mich-lie-b!
Panezza hatte sich in der Nähe der
Kapelle auf eine der zum Podium führenden Stufen gestellt und spähte wartend in
das Maskengewimmel. Mehrmals hatte er sich im Vorüberstreifen und in kurzen
Tanzrunden mit Katharina verständigt, aber sie hatten sich immer wieder, wie in
Angst oder Scheu oder auch, um nicht aufzufallen, nach flüchtiger Berührung
getrennt. Doch wußte sie, wo er zur ›letzten Damenwahl‹ zu finden sei, und
jetzt sah er sie, in dem rosafarbenen Kostüm seiner Tochter, zwischen den sich
zum Schlußtanz formierenden Paaren heraneilen und hob winkend den Arm.
Sie legte ihre nackten Unterarme um
seine Schultern und faltete die Hände hinter seinem Hals, er nahm sie eng um die
Hüften. Die
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