Die Fastnachtsbeichte
brach die Stunde der
Demaskierung herein — denn jeder Ball scheint sich zuerst ins Unendliche
auszudehnen, wie man es vom Weltraum und vom Strudelteig behauptet, dann
schnurrt er plötzlich zusammen und rast seinem Ende zu.
Die Zeiger der großen, mit den
Narrenfarben umwundenen Wanduhr, die vorher kaum von der Stelle rücken wollten,
rannten einander nach. Wie von der Zeit gepeitscht, wurde das Tempo der Tänze,
das hastende Umhereilen und Durcheinandergedränge der Masken, das Verfolgen,
Locken und Werben, Sichumfassen und Sichherumschwingen der Paare immer
stürmischer — und die kehligen oder piepsigen Kopftöne, mit denen man hinter
den Larven die Stimmen zu verstellen suchte, quietschten, den Angstlauten
gefangener Fledermäuse ähnlich, immer schneller und gellender durch den Saal.
Für Jeanmarie klang dieses Geschrill
und Gezwitscher der Kopfstimmen, das von allen Seiten die Musik durchsetzte,
erst wie der betäubende Lärm in einem exotischen Vogelhaus, dann mehr und mehr
wie das unheimliche Schnattern und Kichern eines Gespensterreigens, der auf den
eigenen Gräbern tanzt: als käme es aus Hälsen, deren Stimmbänder längst
verdorrt, aus Kiefern und Gaumen, deren Zungen von der Verwesung gefressen
sind.
Immer noch allein und den Ansprüchen
tanzbegieriger Weibermasken immer wieder entweichend, irrte er durch das
hitzige bunte Wirrsal hüpfender Beine, trippelnder, schlurfender Füße,
gedoppelter Rücken, Hüften, Schultern — suchte und spähte nur nach einer Maske: der schwarzroten Pierette, mit Florschleier und rahmfarbener Larve,
einem roten und einem schwarzen Strumpf, einem schwarzen und einem roten
Seidenschuh.
Er hatte das Kostüm am Abend
bereitliegen sehen und sich genau eingeprägt — da aber der nie abreißende Tanz,
von mehreren miteinander wechselnden Kapellen begleitet, durch verschiedene
Räume wogte und es viele ähnliche Masken gab, hing es vom Glück oder Zufall ab,
eine bestimmte Person darunter aufzuspüren.
Auf einmal glaubte er, sie in den Armen
eines als Laubfrosch verkleideten und auch solche Hupser vollführenden Tänzers
zu entdecken, dessen bis zu den Hüften eng anliegende, hellgrüne Beinlinge
nackt und obszön wirkten — und ihm war, als ob auch sie, die ihn ja eigentlich
unter seiner Larve und in seiner wenig auffälligen Maskerade kaum erkennen
konnte, zu ihm hindrängte und versuche, sich von ihrem zappligen Frosch zu
befreien.
Mit verzweifeltem Eifer und wie in
einem quälenden Traum sie immer wieder aus dem Gesicht verlierend, verfolgte er
sie, und es schien wirklich, als würde die Schwarzrote, die inzwischen einige
Male den Tänzer wechselte und schließlich allein blieb, eine Art von Spiel mit
ihm treiben: bald sich ihm — fast bis zur Berührung — nähern, bald wieder ihn
lockend oder auch heimlich leitend, vor ihm weglaufen.
Als er ganz außer Atem durch eine der
offenen Flügeltüren drängte, hinter der sie grade, von einem Saal in den
andern, verschwunden war, stand sie plötzlich neben ihm, als habe sie hinterm
Türrahmen auf ihn gelauert. Sofort umfaßte er sie — und spürte, während er sie
im Tanzschritt in eine stillere Ecke zu steuern suchte, ihr Herz gegen das
seine pochen — sah, hinter den engen, von künstlichen Wimpern überschatteten
Augenlöchern in der milchfarbenen Larve, ein heißes, nachtblaues Funkeln.
»Kennst du mich?« fragte er dicht an
ihrem Ohr, und bemerkte erschreckend, daß er selbst unwillkürlich in dem hohen
Zwitscherton der Zikaden gesprochen hatte... Die Maske nickte, schlang ihre
Arme fester um seine Flanken. Kannst du mich verstehn, wollte er fragen, doch
es wurde ihm klar, daß man in dem enormen Lärm von Musik, Tanzgespräch und
Stimmen sich nur schreiend, wie Turmschwalben oder Dohlenvögel, verständigen
konnte.
Jetzt waren sie einem Seitengang
nahegekommen, der zwar auch von Masken durchtanzt wurde, aber einige hohe, mit
Säulen gefaßte Fensternischen besaß. Aus einer solchen Nische entwich grade,
vermutlich nach einem gewaltsamen Kuß, laut kreischend eine massige, silbergrün
umwallte Rheintochter, von einem zottigen Alberich in wilden Faunsprüngen
verfolgt. Jeanmarie drängte mit seiner Tänzerin rasch in die freigewordene,
schon heftig umkämpfte Wandmulde hinein, bevor ein anderes Paar sie hätte beschlagnahmen
können, und schlang die Arme um ihren Hals, wie wenn ein Verliebter sein
Mädchen küssen will. Aber daran dachte er nicht, er suchte nur nach einer
Möglichkeit, sich ihr verständlich
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