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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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Ewigkeit.
    Panezza fühlte einen Schreck, wie er
ihn ähnlich empfunden hatte, als man einmal aus seinem Dorf eine Frau
wegschaffen mußte, die irrsinnig geworden war. Fast laufend folgte er ihr,
überholte sie, trat ihr entgegen — und als sie ihm ausweichen wollte,
verstellte er ihr den Weg und zog seine Larve hoch, so daß sie durch die
Augenschlitze der ihren sein Gesicht sehen mußte.
    »Viola«, sagte er fragend und streckte
den Arm nach ihr aus.
    Da sank sie an ihn hin, als habe sie
endlich eine Stütze gefunden, und als er sie hielt, schob auch sie ihre Larve
weg und sah ihn aus todbleichem Gesicht mit flehenden Augen an.
    »Bitte«, sagte sie — und ihre Lippen
formten fast lautlos das Wort, das Jeanmarie, der Sohn, seit Tagen erhofft, um
das er vergeblich geworben hatte — » hilf mir!«
    Ein warmes Gefühl von Ritterlichkeit,
männlicher Pflicht und väterlicher Bereitschaft durchströmte Panezza — und in
diesem Augenblick kehrte er selbst, ohne es zu wissen, ins Leben zurück.
    Ruhig, wortlos, mit fester Hand, führte
er sie aus dem Saal, die breite Freitreppe hinunter, auf den großen Platz
hinaus, der jetzt fast menschenleer war, denn alles, was neugierig
herumlungerte, drängte sich zu den Eingängen, um womöglich einen Blick auf die
mit dem Glockenschlag fällige Demaskierung zu erhaschen.
    Er spürte, wie ein Zittern durch ihren
Körper lief. »Komm«, sagte er, »der Wagen wird schon da sein, dort finden wir
unsere Mäntel.« Er schlug den seidenen Stoff seines Domino-Umhangs sorglich
über ihre Schultern, geleitete sie zur Ecke der baumbestandenen Allee.
    Das hohe, geschlossene Auto, beruhigend
wie ein Schutzhaus im Walde, stand einsam am ausgemachten Platz. Sonst warteten
nur ein- oder zweispännige Chaisen, und es roch angenehm nach Pferd, frischen
Roßäpfeln und altem Leder.
    Der Chauffeur schlief mit offenem Mund
hinterm Lenkrad seines Wagens. Von der Rheinbrücke her klingelte eine späte Straßenbahn,
ernst und geruhsam begann die Domglocke, Mitternacht zu schlagen.
    Als Panezza den Knöchel hob, um an die
Fensterscheibe des Autos zu klopfen, sah er eine graue Gestalt, die ganz nah an
einer Platane lehnte. Nun löste sie sich aus dem Schatten des Baums, wurde ein
Mann in langem Mantel und Schlapphut, trat grüßend heran.
    »Ach, Sie sind es!« sagte Panezza —
kaum erschrocken, eher mit einem Gefühl von Erleichterung — , als er Merzbecher
erkannte. Der Kriminalrat neigte den Kopf zu seinem Ohr, flüsterte ein paar
Worte.
    Panezza wandte sich zu Viola, die
unbeteiligt an seinem Arm hing. »Dieser Herr«, sagte er, »bittet dich, ihm zur
Beantwortung einiger Fragen ins Gericht zu folgen... Sei unbesorgt«, fügte er
rasch hinzu, mit einem Blick zu Merzbecher, »ich bleibe bei dir!«
    Merzbecher nickte und gab Viola die
Hand, während Panezza dem inzwischen aufgewachten Chauffeur eine leise Anweisung
erteilte und sich seinen und Violas Mantel reichen ließ.
    Dann begannen sie schweigend die
Rheinstraße entlang zu gehn, die Herren rechts und links, Viola in der Mitte,
sie ging an Panezzas Arm mit einem stillen, gefaßten Schritt, als sei dieser Weg
das Ziel ihrer Reise gewesen.
     
     
    M it dem zwölften Glockenschlag war
drinnen im Saal die Walzermelodie verklungen, und sämtliche Kapellen spielten
gleichzeitig und mit feierlichem Schwung — zum letztenmal in diesem Jahr — den
Narrhallamarsch.
    Die Tanzpaare glitten auseinander,
hielten sich aber an den Händen gefaßt oder Arm in Arm untergehakt und bildeten
eine selbstgeordnete Polonaise, die sich von allen Seiten auf das große Podium
zu bewegte, wo die Demaskierung und anschließend die Preiskrönung der erfolgreichsten
Verkleidung stattfinden sollte. Viele Unentwegte sangen zu den stimulierenden
Klängen des Marsches die abgewandelte Schlußfassung:
     
    Rizzambaa
— Rizzambaa —
    Bald
fängt widder die Fassenacht aa —!
     
    Schon hörte man da und dort das schallende
Lachgeschrei, das überraschte Quietschen und Kreischen, Schwatzen und Babbeln
von Maskenpaaren oder -gruppen, die sich einander zu erkennen gegeben hatten.
Inmitten einer noch larventragenden Polonaisenschlange, tänzelnd und im Gehen
miteinander schunkelnd wie ein verliebtes Paar, schritten Bettine, in
Katharinas hellblauem Kostüm, und Katharinas Assessor, der als Lohengrin
erschienen war und eine ausgestopfte Gans an einer Hundeleine mit sich zog.
Bettine war an diesem Abend auf ihre Kosten gekommen, vermutlich mehr als die
meisten — ihr spaßhafter

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