Die Fastnachtsbeichte
Einfall hatte sich voll ausgezahlt.
Während der ganzen Zeit hatte sie den
dicklichen, in seiner unbequemen Rüstung schwitzenden, über seine Gans
stolpernden oder sich in ihre Leine verwickelnden Assessor in Dampf und zum
Narren gehalten — veruzt, umschmeichelt, durch wildes Tanzen mit anderen Masken
eifersüchtig gemacht, hinter sich her rennen lassen oder sich vor ihm
versteckt, und sich an seinem täppischen Suchen geweidet, ihm wohlausgedachte
Sottisen gesagt, dann wieder die verliebte Braut gespielt, sich ihm an den Hals
geworfen, und ihn schließlich, beim Schlußwalzer, mit Seufzern der Hingabe,
zärtlichen Händedrücken, schmachtenden Koselauten ganz von Sinnen gebracht, um
den Augenblick seiner Enttäuschung, den sie sich unendlich komisch vorstellte,
auf den letzten Effekt zu bringen. Ihm war tatsächlich nicht der leiseste
Verdacht gekommen, daß er genasführt würde, dazu war er, in jeder Weise, viel
zu vernarrt, und in sieghafter Laune warf er sich jetzt in die Positur eines
Opernsängers — er hatte sich das als geistreiche Schlußpointe ausgedacht — und
schmetterte mit falschen Tönen das notorische ›Niesollstdumichbefragen‹ heraus,
während er sein schon halb verweichtes Visier aus bronziertem Pappdeckel heraufschob.
Als er nun — mit offenstehendem Mund — in Bettinas kalte, spöttische Augen, in
ihr von mitleidlosem Lachen verzerrtes, schon etwas spitzig altjüngferliches
Gesicht starrte — und ihm gleichzeitig klar ward, daß Katharina selbst an dem
grausamen Spaß beteiligt, daß sie mit im Komplott sein mußte, daß sie ihn den
ganzen Abend allein und in den Händen seines Quälgeistes gelassen hatte und
auch jetzt nicht zu seinem Trost erschien, sondern verschwunden blieb — da
wußte er plötzlich, daß er keine Hoffnung hatte, daß alles verloren war, daß er
sie niemals besitzen werde, und er erstickte ein würgendes Schluchzen in seinem
Hals unter überlautem, gackerndem Gelächter.
Inzwischen hatten Jeanmarie und seine
schwarzrote Pierette, zärtlich aneinandergeschmiegt, weitab vom Hauptgetriebe
in die gleiche Fensternische gefunden, wo sie ihn zuerst geküßt hatte, und
nahmen — mit verliebten Fingern einander über die Haare streichelnd — sich
gegenseitig die Gesichtslarven ab. Noch mit halbgeschlossenen Augen ihren Mund
suchend, blickte Jeanmarie in das hübscheste Mädchengesicht, das er je gesehen
hatte, von Erregung gerötet, die dunklen Wimpern niedergeschlagen, die Lippen
liebeswillig geöffnet — und es dauerte eine Zeit, bis er begriff, daß es nicht
das Gesicht war, das er zu küssen verlangte. Sehr langsam entfernte er seinen
Kopf von dem ihren — mit einem verwirrten, noch nicht ganz ausgeträumten Blick,
und es schien ihm auch wirklich, daß der Traum gar nicht aus war, daß er in
seinem Herzen noch weiterträume, nicht aufhören wolle zu träumen, oder daß der
Traum nur wich, um mit einem anderen Traum vertauscht, von einem anderen
überlagert zu werden... Er hielt sie unverändert umschlungen, und er spürte, in
einer tiefen, aber nicht enttäuschten Ratlosigkeit, daß er noch immer verliebt
war — ebenso verliebt in die, welche er jetzt in den Armen hielt, wie in die andere, mit der er gerade noch getanzt hatte—, denn das waren für ihn, um den der Saal
sich wie beim Tanzen drehte, zwei verschiedene Wesen, die erst allmählich in eine, erkennbare Person gerannen...
»Du, Bertel!« sagte er, mit einem
befremdeten Stimmklang, und es war ihm gar nicht bewußt, daß er sie duzte, es
kam ganz von selbst.
Sie hatte immer noch die Wimpern
niedergeschlagen, jetzt schob sie den Mund vor, als schmolle sie mit sich
selbst, in Zerknirschung über ihren Streich, oder als sei sie ihm böse
darüber — um ihre Wangen und Augen aber, als sie sie jetzt halb öffnete,
spielte das Lächeln eines verliebten Triumphs. Sie wußte, daß er sie küssen
werde, und er küßte sie.
Ganz plötzlich schreckte er auf. »Wo
ist Viola?« fragte er, es war nicht klar, ob er sie oder sich selbst fragte. Er
wartete auch keine Antwort ab. »Komm!« sagte er brüsk. Er nahm sie an der Hand,
um suchen zu gehn — Bettine, den Vater — Viola...
Er sprach nicht mit ihr, während sie
rasch durch den immer noch menschenerfüllten Saal drängten, in dem jetzt viele
Sektpfropfen knallten — er wußte selbst nicht, was er dachte — , und trotzdem
wich die Verliebtheit nicht aus seinen Sinnen und seinem Gefühl, das vom Glück
gekostet hatte, wenn auch vom Glück der Narren, wenn
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