Die Fastnachtsbeichte
Musik wurde lauter und heißer, weil nun alle Kapellen in sämtlichen
Räumen in die gleiche Walzermelodie eingestimmt waren, der klößige
Operettentenor wurde von vielen Mitsingenden übertönt, überall schluchzte und
tremolierte es durch die plötzlich verdunkelten, nur von farbigen Scheinwerfern
bespielten Säle:
Haab — mich — lie- b!,
während die zwitschernden
Gespensterstimmen, da man sich jetzt nicht mehr zu verstellen brauchte,
verstummt waren.
Dachte Panezza später an die Minuten
dieses Tanzes zurück, so nannte er ihn in seiner Erinnerung den ›Tanz der
Eintagsfliege^ und ihm war auch, als ob er nach diesem Tanz gestorben sei —
während seine Partnerin wohl noch weiterlebte, behufs irgendeines Geschäftes,
das man die Arterhaltung nennt und das ihm, Panezza, recht überflüssig
erschien, zumal er selbst nicht daran beteiligt war. Jetzt aber war ihnen
beiden, als würde mit und nach diesem Tanz nicht nur ihr Leben, sondern die
Welt aufhören, mit allem, was man je an ihr geliebt, erahnt oder erfühlt hatte.
Sie sprachen dabei nicht ein einziges Wort, sie nannten sich nicht einmal bei
ihrem Namen, näherten nur manchmal ihre Gesichter so dicht, daß die Schläfen
sich kurz berührten und schmerzhaft preßten, dann wieder legten sie weit ihre
Köpfe zurück, daß sie durch die Schlitze der Larven ihre Augen sehen konnten.
Katharinas Larve hatte sich um Augen und Mund herum von innen befeuchtet, er
wußte nicht, ob von Tränen oder nur von der Wärme ihres Atems. Doch je länger
sie tanzten — und sie hatten kein Bewußtsein von Zeit — , desto leichter,
beschwingter, schwebender wurden die Bewegungen ihrer Glieder und das Gefühl in
ihrem Innern. Es war, als lösche der gemeinsame Rhythmus, das wellenhafte Auf
und Ab der Drehung und die süße, wirblige Schwindligkeit alle Gedanken aus oder
zerschmelze ihre Macht, auch die des Schmerzes, des Abschieds, der Trennung —
und es blieb nichts als eine unbegreifliche, aller Daseinslast enthobene
Leichtheit. Ohne Absicht, wie von einem Strom getragen, näherten sie sich in
einer großen Runde dem Hauptausgang des Saals, und ohne Laut, ohne Geste, auch
ohne Zögern lösten sie sich voneinander, er blieb mit leeren offenen Armen
zurück, sie eilte hinaus und drehte sich nicht mehr um.
Er hatte keine Empfindung in diesem
Augenblick, auch sein Herz ging ruhig. So leicht — spürte er nur, und
schüttelte verwundert den Kopf -, so leicht und so schnell, so ist es, so lebt
und so stirbt sich’s, und ihm war, als tanze er immer weiter mit ihr und der
Tanz werde nie enden.
Allmählich erst merkte er, daß er
allein am selben Fleck stand, wie ein Blinder mit ausgestreckten Händen — und
erst allmählich begann er wieder zu sehen, was um ihn her vorging: da waren die
Clowns, die Bajazzi, die Narren, die Faune, die Elfen, die Nymphen, die
Mänaden, da war der juchzende, seufzende Kehraus, der Schlußwirbel und
Todesschrei der Fastnacht...
Und gleichzeitig mit diesem
Zurückfinden ins Gegenwärtige, das einem Aufschlagen der Lider ähnlich war,
fiel eine Gestalt in seinen Blick, die ihn sofort ganz wach machte und alarmierte.
Allein, mit ineinander verflochtenen
Fingern, aber so, als halte sie die Arme um einen unsichtbaren Tänzer gelegt,
wiegte sie sich in einer seltsamen, manischen Traumverlorenheit, nahe der
Saalwand, langsam weitergleitend, dahin... Panezza kannte dieses
Zigeunerkleidchen — seine Tochter Bettine hatte es vor einem Jahr bei einem,
als ›Lumpenball‹ veranstalteten Hausfest getragen, und jetzt hatte man es nach
kleinen Änderungen der Bertel geschenkt... Die Bertel, dachte er — wieso hat
denn die keinen Tänzer?
Im selben Moment fiel ihm der Kostüm
tausch der Mädchen ein — und er wußte, daß das die Bertel nicht war, nicht sein
konnte: jetzt schwebte sie, einer Männermaske ausweichend, die sie haschen
wollte, um eine Steinsäule herum, öffnete wieder die Arme ihrem unsichtbaren
Tänzer, zog ihn mit über der Brust sich kreuzenden Händen an ihr Herz, drehte
sich langsam mit ihm — und die Haltung ihres Nackens, die Bewegung ihrer sich
zärtlich biegenden Hüften hatten etwas von einer verzückten Hingabe, ergreifend
und schauerlich — als spiele sie, Einbildung und Wirklichkeit ganz miteinander
durchtränkend, ›Hochzeit‹ und ›Tod‹ zugleich — das Verschmelzen der Seele in
einer anderen, und das Entfliehen der Seele aus einem verlaßnen, vergessenen
Leib — das Hinschwinden in die Nebel der
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