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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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Zwiespalt und die Sorge um Viola... Er dachte es
nicht bewußt, aber es schwang insgeheim in ihm mit, daß wohl sein Vater einst
über diese Stiege hinaufgeschlichen war, die Schuhe in der Hand, und sehr
besorgt, daß keine Stufe knarrte — damals, als er das tat, was Jeanmarie immer
geahnt hatte.
    Mit dem Rücken an den Stamm einer
Kastanie gelehnt, schlüpfte er in seine Stiefel. Dann schritt er langsam auf
der weichen Grasnarbe des noch winterlichen Rasens, im Schatten der Bäume, dem
Parktor zu, und wandte sich rheinwärts. In einer halben Stunde würde das
sogenannte Frühboot gehen, er konnte den Rest der Nacht in der kleinen
Garçonnière verbringen, die er während der Dienstzeit in der Stadt bewohnte.
Sie kann mich dort besuchen, wenn sie Ausgang hat, dachte er, und warf einen
Blick zu dem erleuchteten Fenster zurück. Dahinter kniff sich die Bertel vor
Ungeduld und Erregung mit den Nägeln in ihre kleinen Brustwarzen, die rot waren
und hart, wie die Hetschebeeren im Herbst.
    Jeanmarie ging in einem Nebel, obwohl
es ganz klar war, die Luft rein und frisch, der Himmel von Sternen sprühte.
    Die Fragwürdigkeit dessen, was man ›die
Liebe‹ nennt — oder jener exaltierten Imagination, die er sich davon gemacht
hatte — , durchdrang und zersetzte sein Bewußtsein, wie mit einer auflösenden
Säure.
    Er hatte geglaubt, Viola zu lieben, bis
zur Todbereitschaft zu lieben — und die Sinnenwärme eines Mädchens, das ihm
bisher kaum des Anschauens wert war, hatte genügt, seine Not in Glück, seinen
Kummer in Stolz zu verwandeln... Was aber war ›die Liebe‹, wenn sie sich
verwechseln ließ und durch einen Tausch, einen Tanz, eine Maske, zum Absterben
reif und zum Vergehen bereit wurde? War Liebe so brüchig, so vergänglich, wenn
sie unerwidert blieb? Oder gab es doch eine andere Liebe — und wäre die dann,
wahrhaft, stärker als der Tod?
    Plötzlich begegnete ihm ein Wachtraum,
der nichts mit alledem zu tun hatte. Es war September, die Bäume dicht belaubt,
einige schon mit gelben Blättern — viele Reiter kamen auf ihn zu — graue
Gestalten — eine davon er selbst — sein Gesicht, seine Hand am Zügel, immer
näher, deutlicher. Dann quoll ein weißer Dampf in die Höhe, und er war nicht
mehr da.
    »Nicht mehr da«, sagte er laut vor sich
hin. Nicht mehr da? Er konnte den Sinn nicht verstehen, und gleich darauf
vergaß er das Ganze.
    Im Fenster des Totenkapellchens, an dem
er vorbeikam, zitterte Kerzenlicht. Es fiel ihm ein, daß heute der Ferdinand
beerdigt würde. Der Ferdinand, ging’s ihm durch den Kopf, oder der Jeanmarie...
was liegt am Namen.
    Er trat dicht heran, schaute durch das
trübe, bleigefaßte Glas.
    Da hockte die Bäumlern auf der
Altarstufe, mit dem Rücken an den offenen Sarg gelehnt, wie jemand sitzen
mochte, der bewachen muß, was ihm gehört. Sie hatte die Arme überm Leib
gekreuzt, er konnte nicht sehen, ob sie die Augen offen hatte, ob sie schlief
oder wachte.
    Sie saß in einer erstarrten, gewaltigen
Schmerzhaftigkeit, die sie wie ein Steinbild in ihrem Schoß und auf ihren Zügen
trug — ein hartes Götterbild der gnadlosen Liebe, des ungerechten Zorns, der
Verstoßung, und des Leids der Verstoßenen.
     
     
    I n der Gegend des Gerichtsgebäudes waren
die Straßen fast unbelebt, die Schritte hallten, die Geräusche der
ausklingenden Fastnacht wehten nur fern und verworren aus der Stadt. Ein
uniformierter Pförtner wartete am Seiteneingang und schloß ihnen auf - es war
die gleiche Tür, durch die Panezza, am Montag um elf, als Prinz Karneval
verkleidet, hinausgeeilt war. Ihm schien seitdem eine Ewigkeit vergangen, und
er schlug den Kragen seines Wintermantels hoch, als sie den langen, kalten
Korridor durchschritten.
    Sie betraten denselben Raum, an dem am
Vortag die Untersuchung stattgefunden hatte, nur schien er seltsam verändert,
nackter und kahler geworden, auch roch es — was man am Tag und durch die
Anwesenheit vieler Menschen weniger bemerkt hatte — nach frischem Anstrich oder
Verputz. Auch Viola hatte sich fester in ihren Mantel gehüllt, der ihr
Maskenkostüm völlig verdeckte, aber sie ging noch immer in einer stillen
Gefaßtheit an seinem Arm, und ihr Gesicht zeigte keinen Ausdruck.
    Der Pförtner hatte bereits den
lautlosen Mechanismus der schweren Doppeltür in Bewegung gesetzt, die zur
Leichenhalle führte, jetzt drehte er drinnen das Licht an, und der harte,
kreidige Scheinwerfer stülpte sich über den gleichen Aufbahrungstisch, auf dem
gestern

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