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Die Fastnachtsnarren. Humoresken

Die Fastnachtsnarren. Humoresken

Titel: Die Fastnachtsnarren. Humoresken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wunderschöner, wenn auch dunkler Abend; aber in dem Herzen der Jungfer herrschten düstre Schauer, und ohne Unterbrechung lief ihr die Angst kalt den Rücken hinauf und kalt wieder hinab. Tausenderlei Gefahren schwebten für sie in der Luft, und bei jedem Geräusch glaubte sie eine derselben über sich hereinbrechen zu sehen. Die Ziege war kaum zu erkennen dazu klangen ihre Tritte so eigenthümlich knackend auf dem harten Boden, und ihre Umrisse schienen sich von Augenblick zu Augenblick zu vergrößern. Wie nun, wenn sie sich plötzlich in ein Krokodil, einen Riesenmolch oder in sonst ein Ungeheuer verwandelte? Hier gab es nur eine Rettung: so oft dreihundertdreiunddreißig Schritte zurückgelegt waren, mußte sie stehen bleiben, und Adeline ging dreimal um sie herum. Dieses magische Zaubermittel wurde mit der größten Genauigkeit angewendet, bis man auf dem Berge vor dem Wirthshause stand, wo die Wirthschafterin endlich wieder frei Athem zu holen wagte. Sie band die Ziege vor der Thür an und trat in die Stube.
    »Na, da bist Du ja,« meinte die Schwester. »Hast Du die Ziege?«
    »Ja, ich habe sie. Wenn ich sie doch nur auch glücklich vollends heim brächte! Willst Du sie Dir einmal ansehen?«
    Die beiden Frauen gingen mit der Laterne hinaus; der Wirth sah ihnen vergnügt lächelnd nach.
    »Ein sonderbarer Gedanke von dem Schmidt!« brummte er vor sich hin. »Ich möchte nur den ›alten Knaster‹ sehen, wenn er hinter die famose Entdeckung kommt!«
    Nachdem die Schwestern die Schönheiten des Thieres des Langen und Breiten belobt hatten, kehrten sie in die Stube zurück, und kaum war dies geschehen, so löste sich eine Gestalt drüben von dem Rande des Gebüsches und schritt dem Hause zu. Es war der Student, welcher den Bock am Stricke bei sich führte. Er hing ihn an dieselbe Stelle an, wo die Ziege festgebunden war, und machte sich dann schleunigst mit der Letzteren von dannen.
    Einige Zeit später erschienen die beiden Frauen wieder unter der Thür, um Abschied von einander zu nehmen. Dieses Mal hatte der Wirth es so einzurichten verstanden, daß die Laterne zurückgeblieben war.
    »Gute Nacht, Adeline. Komm wohl nach Hause!«
    »Gute Nacht. Ich wollte, ich hätte die Ziege schon im Stalle!«
    Sie löste den Knoten und führte, jetzt wieder genau die Schritte zählend, ihre Bartholomäuseroberung den Berg hinab. Der Bock merkte, daß es wieder heimwärts gehe, und hielt in Folge dessen so brav Schritt, daß Adeline nicht den mindesten Unterschied zwischen jetzt und vorher verspürte. Auch als sie ihn hielt, um den dreifachen Kreis um ihn zu beschreiben, traf sie auf keinen Widerstand, denn der Bock war über den sonderbaren Reigen so erstaunt, daß er gar nicht auf den Gedanken einer Störung kommen konnte.
    So ging es, zwar immer unter Angst und Bangen, aber doch ohne Unfall und Hinderniß dem Städtchen zu, welches umgangen wurde, weil die Jungfer jede Begegnung vermeiden wollte. Auf dem Schlosse angekommen, führte sie das Thier sogleich in den Stall, wo sie es festband und noch im Dunkeln für Trank und Futter sorgte. Gemolken war die Ziege ja schon, und die Strapazirung des Körpers und der Seele hatte Adeline so ermüdet, daß sie so ungesäumt wie möglich in ihr Ministerium zu kommen trachtete, wo sie sich nach Bedürfniß pflegen und erholen konnte. –
     
    Es war am andern Morgen. Wieder stand der Reiteroberst a.D., Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen am geöffneten Fenster, gehüllt in eine für das Auge fast undurchdringliche Tabakswolke, und wieder öffnete sich geräuschvoll die Thür, und mit fliegendem Morgenrocke und wehenden Haubenbändern rauschte Jungfer Adelinchen herein, das Kaffeebrett in den Händen.
    »Guten Morgen, gnädiger Herr!« grüßte sie und richtete dabei einen weit besorgteren Blick noch als gestern auf das Riesenwolkengebirge.
    Keine Antwort ertönte.
    »Wie haben Ew. Gnaden zu schlafen geruht?« wagte sie zu fragen, trotzdem das Schweigen des Obersten deutlich zu erkennen gab, daß er sich in keiner launigen Stimmung befinde. Die Folge ließ auch gar nicht auf sich warten:
    »Rede Sie doch, wie Ihr der Schnabel gewachsen ist! Oder glaubt Sie etwa gar, daß ich zu den Affen zähle, die sich mit albernen Redensarten anblasen lassen? ›Zu schlafen geruht!‹ Wenn ich schlafe, da ruhe ich, und wenn ich ruhe, da schlafe ich auch! Unsinniges Zeug! Geruhe Sie nur, sich so schnell wie möglich zur Thür hinaus zu machen, sonst soll Sie erfahren, wie ich geschlafen

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